ANALYSE. Der Bundespräsident redet sich in Bezug auf ÖVP- und FPÖ-Affären in einen Strudel hinein. Dabei strapaziert er nicht zuletzt auch ein überholtes Verständnis davon, was Korruption ist.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen wolle ÖVP-Anhänger „offenkundig nicht vergraulen“, meint der deutsche „Spiegel“: Bei seinen jüngsten Auftritten habe das Staatsoberhaupt die blaue Ibiza-, nicht aber all die türkisen Affären der jüngeren Vergangenheit erwähnt. Danach gefragt ist er jedoch worden. Und zwar Montagabend in der „ZIB2“: Martin Thür hatte sich verwundert darüber gezeigt, dass Van der Bellen zu dem, was von Sebastian Kurz und aus dessen (Polit-)„Familie“ so bekannt geworden ist, nie gesagt hat, „So sind wir nicht!“. In Bezug auf Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatte er dies bekanntlich getan.
Van der Bellen antwortete, dass er „deutliche Unterschiede“ sehe und verwies auf empörende Aussagen von Strache, die in dem Video zu sehen waren. Und zwar – Zitate Van der Bellen –„den bewussten Versuch, die Pressefreiheit zu untergraben“ durch eine Übernahme der „Kronen Zeitung“; und den „Versuch, zu erklären, wie man denn Ausschreibungen so manipulieren kann“: „Das ist glatter Betrug, so etwas.“
Der Bundespräsident ist hier unpräzise. Strafrechtlich kann noch keine Rede sein von Betrug. Ein Gesetz, das das In-Aussicht-stellen solcher Handlungen durch eine noch nicht gewählte bzw. bestellte Amtsperson unter Strafe stellt, lässt auf sich warten. (Es ist überfällig.) Auf einem anderen Blatt steht, dass es nur gut und richtig war, dass Strache vor drei Jahren gehen musste; das war eine politische Frage. „Ein Politiker, der so denkt, ist in seinem Amt fehl am Platz“, so Van der Bellen.
Der Punkt, der nun aber bleibt, ist dieser: Strache hat in dem Video, das 2017 aufgezeichnet wurde, als Noch-nicht-Vizekanzler von inakzeptablen Dingen gesprochen. Im Falle der Türkisen ist vieles in Worten nicht nur ausgeführt worden in diversen Chats, sondern mutmaßlich auch umgesetzt worden. Das ist zumindest nicht harmloser. Doch diesbezüglich verweist Van der Bellen zum Auftakt des Wahlkampfes auf die Unschuldsvermutung. Er misst mit zweierlei Maß.
Politisch ist die Sache klar: Wie Strache musste auch Kurz gehen. Auch in seinem Fall wären daher weiterhin ähnliche Worte nötig von Van der Bellen. Im vergangenen Herbst entschuldigte er sich immerhin noch für die Geschehnisse. In der ZIB2 vom vergangenen Montag meinte er hingegen sehr allgemein, dass vieles in jüngster Zeit „etwas übertrieben“ worden sei. Die Justiz arbeite korrekt, Urteile habe es noch so gut wie keine gegeben.
Letzteres stimmt. Doch warum musste Kurz dann noch einmal gehen? Der Bundespräsident will offenkundig wirklich ÖVP-Anhänger nicht vergraulen, 2019 bildeten sie immerhin fast 40 Prozent der Wählerschaft; Van der Bellen braucht sie.
Und dafür wählt er in einem „Standard“-Interview auch diesen Korruptionsbegriff: „Klassische Korruption ist für mich, wenn zum Beispiel ein Beamter für Bauaufträge kassiert, dafür, dass er jemanden begünstigt.“ Ja, ja, das Geld im Briefkuvert, das am besten an einem Sonntagmorgen auf einer Autobahnraststätte den Besitzer wechselt.
Genau das ist das Problem, diese Darstellung ist Van der Bellen nicht würdig, und er sollte sie schon gar nicht nötig haben: In zu großen Teilen Österreichs gibt es eine rückständige Vorstellung von Korruption. Schlimmer: Auch die Gesetze sind in zu vielen Bereichen noch nicht darüber hinaus. Korruption ist nämlich auch, wenn eine Partei über eine Wahlkampfkostenüberschreitung versucht, sich an die Macht zu pushen; Korruption ist zudem, wenn Bund, Länder und Gemeinden hunderte Millionen Euro willkürlich für Zeitungsinserate vergeben; Korruption ist im Übrigen, wenn die Teilorganisation einer bestimmenden Partei in einem Bundesland hemmungslos Inserate bei Unternehmen keilt, die u.a. von öffentlichen Aufträgen leben; und so weiter und so fort.
Der Wahrung solcher Korruption dient die anhaltende Verschleierung von Parteienfinanzierung genauso wie die Aufrechterhaltung des Amtsgeheimnisses bzw. die Verweigerung echter Informationsfreiheit. All das garantiert genau die Dunkelheit, in der man machen kann, was dem eigenen Vorteil dient.
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