ANALYSE. Eine hohe Beteiligung bei der Bundespräsidenten-Wahl ist ebenso wahrscheinlich wie eine klare Bestätigung von Amtsinhaber Alexander Van der Bellen. Nötig wäre mehr.
Der freiheitliche Präsidentschaftskandidat Walter Rosenkranz erwägt, die Regierung im Falle seiner Wahl zu entlassen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat das in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ dankend aufgegriffen und erklärt, dass es ein wenig nach Putsch und Willkür des Einzelnen rieche. Tatsächlich: Die österreichische Verfassung ist so, wie sie ist, damit keiner allein zu mächtig werden kann. Bei der Entlassung der Regierung muss das Staatsoberhaupt daher immer auch die Mehrheitsverhältnisse auf parlamentarischer Ebene berücksichtigen. Dort könnte eine Regierung, die ihm gefällt, auf der Stelle mit einem Misstrauensvotum bedacht, also nach Hause geschickt werden.
Es ist gut und wichtig, dass Rosenkranz hier so klar und deutlich zum Ausdruck gebracht hat, was er sich vorstellen kann. Dann kann sich hinterher niemand wundern, was alles möglich ist. Umgekehrt ist es ebenso gut und wichtig, dass sich Van der Bellen dem so klar und deutlich entgegengestellt hat.
Das bringt Bewegung in den Wahlkampf. Und eine solche dient ausnahmsweise nicht nur der Unterhaltung irgendwelcher Beobachter. Es geht um die Sache: Die Demokratie steht von innen und von außen unter Druck, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Durch eine harte Auseinandersetzung muss das rübergebracht werden. Ein bisschen ist das nun immerhin passiert.
These: Mit der Tatsache, dass Van der Bellen von mitte-links und seine (bekannteren) Gegenkandidaten von rechts kommen, geht eine Polarisierung einher, die noch mehr erwarten lässt. Das wird dafür ausreichen, dass es beim Urnengang Anfang Oktober eine ordentliche Wahlbeteiligung geben wird. Sehr viele Menschen werden sich verpflichtet fühlen, entweder die eine oder die andere Seite zu unterstützen. Wobei sich Van der Bellen durchsetzen dürfte: Er verfügt über einen Amtsbonus, ist der einzige Vertreter der österreichischen Politik, dem viel mehr Vertrauen als Misstrauen entgegengebracht wird. Und er greift den Ball eben auch auf, wenn er sich, wie eingangs erwähnt, anbietet.
Viel mehr wäre jedoch nötig: Von außen hat Wladimir Putin der Demokratie durch den Angriffskrieg auf die Ukraine den Kampf angesagt. Doch in Österreich wird das noch immer nicht erkannt. Das zeigt Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer (ÖVP), wenn er die Sanktionen gegen Russland in Frage stellt und mehr noch die FPÖ von Herbert Kickl, wenn sie meint, man solle sie überhaupt fallen, Putin also ungestraft durchmarschieren lassen. Auf der anderen Seite zeigt es Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), wenn er einfach gar keine Neutralitätsdebatte führen möchte und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, wenn sie darauf verzichtet, ernsthafte Vorschläge zu machen, wie denn aktive Neutralitätspolitik im konkreten Fall ausschauen könnte. All das zeugt von einer solchen Unernsthaftigkeit, wie sie eigentlich nur im Sinne von Putin sein kann: Demokraten bemühen sich nicht einmal um eine Position, die adäquat sein könnte.
Demokratie steht aber auch von innen unter Druck, und da tritt Van der Bellen zwar einem Walter Rosenkranz entgegen, wie er es vor sechs Jahren bei Norbert Hofer gemacht hat, nicht aber bei Praktiken, die Türkise pervertiert haben und zum Teil bis heute pflegen: Geringschätzung gegenüber dem Parlament haben Sebastian Kurz, Gernot Blümel und Co. vielfach demonstriert. Ausgeübt haben sie diese aber auch durch die Abwicklung milliardenschwerer Coronahilfen über die COFAG, die dem Interpellationsrecht der Abgeordneten entzogen ist. Bei einer so schwerwiegenden Sache! Die „Kleine Zeitung“ bezeichnete diese Konstruktion in einem Leitartikel zurecht als „Staat im Staat“.
Das leitet über zu einer Geisteshaltung, die bei diversen Chats rüberkommt: „Wir richten es uns, wie es uns gefällt.“ Und es ist auch nicht mehr weit zu den unsäglichen Angriffen des Ex-Kanzlers auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Fortgesetzt wird das unter den Nachfolgern beispielsweise in der Asylpolitik: Wie hier ausgeführt, ist die Aussage von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), „Kein Asyl für Menschen aus Urlaubsländern“ (wie der De-facto-Diktatur Tunesien), eine Aufkündigung individueller Menschenrechte.
Hier tut sich der Bundespräsident schwer, deutlich zu werden: Es regt sich mittlerweile nicht nur kaum noch jemand auf darüber, es dürfte auch der Meinung einer Mehrheit entsprechen. Und eine solche braucht Van der Bellen für die Wiederwahl, er ist auch darauf angewiesen, wenn schon keine offene Unterstützung der ÖVP, dann ihr Wohlwollen zu genießen. Mit rot-pink-grüner Hilfe allein würde es womöglich knapp werden.