ANALYSE. Die Wiener SPÖ hat ein sehr schlichtes Motiv für Rot-Pink: Die Neos stehen dem Werben um entscheidende Wählergruppen viel weniger im Weg als die Grünen.
Für die Neos stellt die Regierungsbeteiligung in Wien eine ebenso große Chance dar, wie sie es für die Grünen auf Bundesebene ist: Das kann man ganz nüchtern feststellen. Trotz aller Gegensätze zwischen Neos und Sozialdemokraten bzw. Grünen und Türkisen. Beide Kleinparteien leben nicht nur davon, Opposition zu machen. Es ist auch eine Belastung, weil Anhänger irgendwann Ergebnisse sehen wollen, die – wenn auch nur in Teilbereichen – halt nur über eine Regierungsbeteiligung erzielt werden können. So viel vorweg.
Jetzt zur Frage: Was treibt die Wiener Sozialdemokraten, mit den Neos über eine Zusammenarbeit zu verhandeln, also eine Koalition bilden zu wollen? Mögliche Motive gibt es viele: Die „Kleine Zeitung“ schreibt in ihrer Morgenpost etwa, es handle sich um ein „Revanchefoul in Rosa-Rot“. Konkreter: Die Bundes-SPÖ sei angefressen auf die Grünen, „weil sie im Bund mit den bösen Türkisen koalieren“; dafür müssten sie nun in Wien büßen. Das ist nicht ausgeschlossen. Was jedoch dagegen spricht: Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner schafft Bürgermeister Michael Ludwig nichts an; dazu fehlt ihr die Macht.
Ein anderes Motiv, das den Wiener Sozialdemokraten unterstellt werden kann: Sie wollen einfach nur ein Gegenmodell zur Bundesregierung entwickeln; besonders in der Europa- sowie in der Asyl- und Migrationspolitik hätten sie da leichtes Spiel, zumal sich die Grünen hier in türkiser Geiselhaft befinden würden. Das hat etwas.
Sehr viel spricht jedoch dafür, dass es Michael Ludwig um etwas viel Banaleres geht: längerfristige Stimmenmaximierung. Sie ist mit den Neos an der Seite der SPÖ am ehesten möglich; sie stören am wenigsten dabei.
Als Ludwig die Nachfolge von Michael Häupl antrat, kam es auch zu einer Kursänderung der Wiener SPÖ: Im Mittelpunkt stehen seither die Flächenbezirke. Dort leben erstens immer mehr Menschen und zweitens sind sie aufgrund ihrer Masse schon viel eher wahlentscheidend als etwa die Bewohner zentrumsnaher Bezirke. Außerdem hat die Sozialdemokratie hier in den vergangenen Jahren extrem viel Potenzial an die Freiheitlichen abgeben müssen. Und bei der Wahl am 11. Oktober hat sie – gemessen an den FPÖ-Verlusten – relativ wenig zurückholen können.
Ludwig hat sich schon länger um diese „Vorstadt-Wähler“ bemüht: Der „Wien-Bonus“ ist ein Symbol dafür. Wer neu in der Stadt ist, muss sich bei diversen Leistungen hinten anstellen. Wie an der Supermarktkasse sei das, sagte Ludwig ausdrücklich. Was diesen Zugang von einem freiheitlichen unterschied, war eher nur das Fehlen einer Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Zuwanderern.
Die Grünen stören den Fokus von Ludwig: Mit ihnen an seiner Seite ist es grundsätzlich nicht einfach für ihn, den Freiheitlichen Wähler abzunehmen. Vor allem, wenn sie dann auch noch mit Projekten wie der „autorfreien City“ daherkommen, ohne sich auch nur abzusprechen mit ihm. Ganz nüchtern betrachtet gewinnt man damit keine Blauen, sondern vertreibt sie eher.
Und die Neos? Sie haben Schwerpunkte auf dem Programm, die dieser Zielgruppe nicht wehtun. Im Gegenteil: Mehr und bessere Schulen können allen recht sein, ganz besonders jenen, die praktisch ausschließlich über die Schule eine Chance haben, zu Bildung zu kommen. Transparenz wiederum ist kein Thema, das Massen auf die Barrikaden treibt. Diesbezüglich muss wohl eher nur die SPÖ über ihren Schatten springen.
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