Stocker folgt Kickl

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ANALYSE. Der Kanzler schließt sich einer Initiative zur Abschiebung ausländischer Straftäter an, die exakt dem entspricht, was der heutige FPÖ-Chef schon 2019 gefordert hat und im Grunde genommen auch von Trump praktiziert wird.

Menschenrechte? US-Präsident Donald Trump pfeifet drauf und lässt Mitte März 250 ausländische Staatsangehörige wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einem Verbrecherkartell nach El Salvador abschieben. Eine richterliche Anordnung ignoriert er.

Menschenrechte? „Ich glaube, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“, sagt der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) 2019 in einem „Report“-Interview. Es geht um die Abschiebung ausländischer Straftäter. Der Rechtsstaat darf da laut Kickl keine Hürde sein: Es könne nicht sein, dass man über eigene Gesetze stolpert und handlungsunfähig wird, vor allem nicht auf Basis „irgendwelcher seltsamen rechtlichen Konstruktionen“, die wie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) viele Jahre alt seien, argumentiert er.

Menschenrechte? Österreichs Kanzler Christian Stocker (ÖVP) schließt sich mit sechs weiteren Regierungschefs einer italienisch-dänischen Initiative an, in der die Ansicht vertreten wird, „dass es notwendig ist, die Interpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu prüfen“.

Es ist so weit. Das Recht soll der Politik folgen – sagen neun EU-Regierungschefs darunter Bundeskanzler Christian Stocker. Die Debatte darüber – remember Innenminister Kickl und seine umstrittene Aussage damals – wird noch spannend. www.governo.it/sites/govern…

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— Stefan Kappacher (@kappachers.bsky.social) 23. Mai 2025 um 16:00

Hat Kickl gemeint, dass man nicht über eigene Gesetze und darunter eben auch die EMRK stolpern dürfe, schreiben Stocker und Co.: „Wir sind der Ansicht, dass die Entwicklung in der Auslegung des Gerichtshofs in einigen Fällen unsere Fähigkeit eingeschränkt hat, in unseren eigenen Demokratien politische Entscheidungen zu treffen.“ Auf nationaler Ebene wolle man daher „mehr Spielraum haben, darüber zu entscheiden, wann kriminelle Ausländer ausgewiesen werden“.

Der Präsident des Europarats, der Schweizer Alain Berset, antwortet Stocker und den übrigen Regierungschefs kurz und in einer für sie beschämenden Art und Weise: Der Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sei der juristische Arm des Europarates. Er existiere, um die Rechte und Werte zu schützen, zu deren Verteidigung sich die Mitgliedstaaten (darunter Österreich) verpflichtet hätten.

Und: „Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichtshofs ist unser Grundpfeiler. Debatten sind sinnvoll, die Politisierung des Gerichtshofs jedoch nicht. In einer rechtsstaatlichen Gesellschaft sollte keine Justiz politischem Druck ausgesetzt sein. Institutionen, die Grundrechte schützen, dürfen sich nicht politischen Zyklen beugen. Andernfalls riskieren wir, die Stabilität zu untergraben, für deren Gewährleistung sie geschaffen wurden. Der Gerichtshof darf nicht als Waffe eingesetzt werden – weder gegen Regierungen noch von ihnen.“

In der Sache geht es um den Grundsatz des Non-Refoulement. Es beruht auf der Überzeugung, dass keine Person in einen Staat zurückgewiesen werden darf, in dem ihr eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte droht. Dieses Verbot ergebe sich aus Artikel 3 der EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“), betont der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages: Der EGMR habe ausdrücklich und wiederholt festgestellt, dass es ausnahmslos gelte. Es gebe jedoch die Möglichkeit einer Abschiebung zum Beispiel eines Flüchtlings in einen „sicheren Drittstaat“. Es müsse jedoch vorab geprüft werden, ob dieser Staat eine menschliche Behandlung im Sine der EMRK gewährleistet. Was nach Kickl jetzt unter anderem auch Stocker zu strenggenommen ist. Obwohl oder gerade weil es konsequenter Auslegung von Menschenrechten entspricht.

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