Recht politisch

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ANALYSE. Beim Umgang mit dem Scharia-Urteil schwingt etwas mit, was für den demokratischen Rechtsstaat bedrohlich ist: Es wird zunehmend erwartet, dass sich Urteile an Stimmungen orientieren.

Es sei das erste Mal, dass er im laufenden Gespräch nicht mehr nüchtern, präzise und mit Enthusiasmus erzähle, sondern deutlich geknickt wirke, schreibt der „Kurier“ gegen Ende des ganzseitigen Porträts über Wali Malik. Der US-Amerikaner ist neuer Leiter des Robotik-Labors am AITHYRA-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und auch aus politischen Gründen von Boston nach Wien übersiedelt.

In den USA war es ganz offensichtlich nur noch schwer auszuhalten. Der Zeitung sagt er jedenfalls: „Die neue Administration unter Donald Trump hat es geschafft, dass Wissenschaft delegitimiert wird. Plötzlich heißt es etwa: mRNA-Forschung ist gefährlich – und ganze Forschungsfelder werden gestrichen. Die Wissenschaft ist politisiert worden, die Politik bestimmt nun, welche Forschung gemacht wird.“

Der Satz „Die Wissenschaft ist politisiert worden“ sitzt. Vor allem auch nach Lektüre des Leitartikels jener Ausgabe vom 24. August 2025 von Chefredakteur Martin Gebhart. Er liefert einen Beweis dafür, dass in Österreich mehr und mehr erwartet wird, dass Rechtsprechung politischen Erwartungen zu entsprechen hat. Auf welcher Ebene auch immer.

Die Aussage, dass Recht der Politik zu folgen habe, die Herbert Kickl (FPÖ) als seinerzeitiger Innenminister vor sechs Jahren getätigt hat, wirkt fast schon harmlos: Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) hat sich vor dem Sommer gemeinsam mit einigen anderen Regierungschefs über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschwert, dass dieser so streng sei bei der Abschiebung straffällig gewordener Asylwerber. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) hat das jetzt weitergedreht.

In einem „Standard“-Interview meinte er: „Wenn jemand kommt und unsere Hilfe will, diese auch angeboten bekommt, aber dann straffällig wird, warum verwirkt der dann nicht sein Asylrecht, warum kann der dann nicht abgeschoben werden? Das Asylrecht ist auf unserer Rechteskala immer noch höher einzuschätzen als ein verurteilter Straftäter. Das gehört aus meiner Sicht geändert.“

Wirklich? Mehr noch als Stocker rüttelt Doskozil hier an wichtigen Grundsätzen: Das Asylrecht ist auf der Rechteskala als sehr hoch einzuschätzen, um in seiner Sprache zu bleiben, weil es bei ihm um zentrale Menschenrechte geht. Zum Beispiel nicht gefoltert zu werden. Oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder einer anderen Meinung als irgendein Diktator nicht eingekerkert oder hingerichtet zu werden.

Daher ist das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so streng: Er bewahrt auch Straftäter vor so fundamentalem Unrecht. Er unterstreicht damit die Universalität der Menschenrechte.

Noch kann er sich das leisten, sind die politischen Kräfte, die seine Entscheidungen infrage stellen, nicht stark genug. Noch gibt es auch in Österreich Gerichte, die unbeirrt Recht sprechen und Experten, die das verteidigen.

Der Leitartikel von Gebhart steht jedoch stellvertretend für Strömungen, die dagegen arbeiten und die längst nicht mehr nur von Freiheitlichen betrieben werden. Siehe Stocker, siehe Doskozil.

Gebhart widmet sich dem Scharia-Urteil und findet, es möge rechtlich in Ordnung sein, politisch sei es das nicht. Zur Erinnerung: Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat akzeptiert, dass zwei Männer für den Fall eines Streits ein Schiedsgericht nach islamischem Recht vereinbart haben. Das Schiedsgericht hat schließlich einen der beiden zu einer Geldstrafe verurteilt. Laut Landesgericht wurde dabei nicht gegen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verstoßen. Und allein das sei entscheidend.

Der Chefredakteur sieht eine Anerkennung islamischer Regeln durch unser Rechtssystem und findet das problematisch. Er schreibt weiter: „Die ehemalige OGH-Präsidentin und Neos-Politikerin Irmgard Griss sieht interessanterweise kein Problem darin und ein Rechts-Professor ordnete die Kritik an dem Urteil als mangelnde Sachkenntnis ein. Würde diese Diskussion nur im Elfenbeinturm der Justiz geführt, dann wären das überzeugende Argumente.“ Die politische, die gesellschaftliche Realität sei aber eine andere und erfordere daher einen anderen Umgang mit dem Problem. Sprich: Das Zivilgericht hätte den Schiedsspruch aus Prinzip nicht anerkennen dürfen. Derlei müsse für die Zukunft ein Riegel vorgeschoben werden.

Der Punkt ist: Wenn die politische, die gesellschaftliche Realität und nicht mehr Gesetze maßgebend werden sollen für die Rechtsprechung, dann könnte man sie auch gleich im Fernsehen stattfinden und das Publikum urteilen lassen. Klar: Das ist jetzt zynisch. Es ist aber nicht weit davon entfernt bzw. nur konsequent zu Ende gedacht und ungefähr das, was sich zum Beispiel US-Präsident von Gerichten erwartet. Wobei halt er allein definiert, was Realität sei.

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