BERICHT zur StBG-Novelle: Experte warnt, dass künftig „wohl aus jedem streitigen Scheidungsverfahren ein Strafverfahren hervorgehen wird“.
Der Begutachtungsentwurf für eine umfassende StGB-Novelle sorgt weiter für Diskussionen. Andreas Venier, Strafrechtsprofessor an der Uni Innsbruck, warnt vor der Schaffung neuer Sexualdelikte. Sie würden seiner Ansicht nach dazu führen, dass „wohl aus jedem streitigen Scheidungsverfahren ein Strafverfahren hervorgehen wird“. Dass Beischlaf immer im gegenseitigen Einverständnis erfolgt sei, werde sich jedenfalls schwer nachweisen lassen.
„Die neuen Sexualstrafbestimmungen (§ 205a, § 218 StGB-Entwurf) sind entschieden abzulehnen“, schreibt Venier in seiner Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf: „Der Ultima-Ratio-Gedanke des Strafrechts erfordert Zurückhaltung auch bei der Schaffung neuer Sexualdelikte. Der Entwurf kennt leider keine Zurückhaltung. § 205a StGB-Entwurf bedroht unter anderem denjenigen mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, der mit einer anderen Person ohne deren Einverständnis den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt. Nehmen wir an, die Frau behauptet im Zuge der Scheidung oder Trennung, sie habe den Geschlechtsverkehr mit ihrem Noch-Partner „eigentlich“ nicht gewollt, sie habe sich „überfahren gefühlt“, sei „getäuscht“ worden und hätte bei Kenntnis der wahren Umstände (zB Untreue des Partners, Trennungsabsicht) nie eingewilligt; sie habe nur mitgemacht, weil ihr Partner sie – mehr oder weniger? – hinters Licht geführt oder gedrängt habe, weil er so hartnäckig gewesen sei. So wird wohl aus jedem streitigen Scheidungsverfahren auch ein Strafverfahren hervorgehen, dessen Ausgang – wenn Aussage gegen Aussage steht – höchst ungewiss ist. Jedenfalls wird der beschuldigte Partner erpressbar, wenn er sich nicht den Forderungen des angeblichen Opfers, zB nach höherem Unterhalt oder alleiniger Obsorge, beugt. Ein ausdrückliches oder vielleicht auch nur schlüssiges „Nein“ zu dem einen oder anderen Geschlechtsverkehr im Laufe einer Beziehung lässt sich im Nachhinein immer konstruieren.“
Ein „deutliches, aber doch maßvolles Zeichen“ gegen sexuelle Gewalt, wie die Erläuterungen meinen, sei die Bestimmung nicht, da sie weder Gewalt noch Drohung voraussetze, sondern nur einen „konsenslosen Sexualkontakt“, so Venier weiter: „Natürlich sollen Sexualkontakte einverständlich erfolgen, aber es kann nicht Aufgabe des Strafrechts sein, nachzuprüfen, ob Sexualpartner mit allem, was sie taten, immer und voll einverstanden waren. Es ist jedem Sexualpartner zumutbar, sich deutlich und unmissverständlich gegen unerwünschte geschlechtliche Handlungen auszusprechen. Lediglich der Umstand, dass ein Partner zum Geschlechtsverkehr überredet, verführt, gedrängt oder durch Versprechen verleitet wurde, rechtfertigt keine Kriminalstrafe. Wenn Gewalt oder gefährliche Drohung im Spiel ist, greift selbstverständlich der Schutz des Strafrechts (zB § 201, § 202 StGB).“
Strafbar soll nach dem Entwurf auch sein, wer das Einverständnis zum Geschlechtsverkehr durch Ausnützung einer Zwangslage oder durch Einschüchterung erlangt, analysiert Venier schließlich: „Das kann vieles bedeuten. Ist die Frau in einer Zwangslage, wenn sie ihr Mann verlassen oder ihr den Zugriff zu seinem Konto sperren will, wenn sie nicht mit ihm schläft? Ist der Mann in einer Zwangslage, wenn ihn die Ehefrau auf die Straße setzt, wenn er nicht wieder mit ihr anstatt mit der Freundin schläft? Ein am Ultima-Ratio-Prinzip ausgerichtetes Strafrecht sollte sich von solchen Fragen fernhalten.“
Die Begutachtungsfrist für die StGB-Novelle endet am 24. April. Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) wird in weiterer Folge eine Regierungsvorlage entwickeln, die dann zur Beratung und Beschlussfassung dem Parlament übermittelt werden soll.