Willkür

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ANALYSE. Bei weitem nicht nur, vor allem aber im Asyl- und Fremdenwesen wird Recht angewendet, wie’s gefällt. Das kann niemandem gefallen, zumal es eben noch weiter geht.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) lässt wissen, dass die Abschiebung von Familien mit offensichtlich gut integrierten Kindern schmerzlich, aber notwendig gewesen sei. Rechtlich sei das gewissermaßen alternativlos gewesen, alles andere wäre „reine Willkür“ gewesen.

Willkür ist ein treffendes Wort im Zusammenhang mit dem österreichischen Asyl- und Fremdenrecht: Es gibt kaum einen anderen Bereich, in dem die Rechtssicherheit so gering ist. Gut die Hälfte beanstandeter Asylentscheidungen wird in zweiter Instanz korrigiert.

Verhängnisvoller als die Kompetenz der ersten Instanz ist wohl dies: Asyl- und Fremdenrecht ist de facto nicht mehr anwendbar. Rechtsanwälte klagen immer wieder über das Problem. Vergeblich. Rupert Wolff, Präsident ihrer Kammer, zählte in zehn Jahren 13 Novellen. Das Ergebnis sei auch für Experten kaum noch fassbar.

Theoretisch und praktisch lässt sich also sehr Vieles herauslesen. Im schlimmsten Fall sowohl das eine als auch das Gegenteil davon. Selbst bemühte Beamte sind damit überfordert. Mittelmäßige, die noch dazu haarsträubend argumentieren (wie das Nachrichtenmagazin „profil“ hier beispielhaft angeführt hat), machen das Chaos perfekt.

These: Beim Asyl- und Fremdenrecht geht es heute nicht darum, Recht zum Durchbruch zu verhelfen, sondern darum, Recht zu verwischen und so politisch motivierte Willkür zu ermöglichen.

Hinzu kommt die Vernachlässigung von Grund- und Freiheitsrechten. Sie fällt bei den aktuellen Fällen besonders ins Gewicht: Ein überfordertes System, das zulässt, dass Kinder nicht nur in Österreich geboren werden, sondern auch aufwachsen, Freunde gewinnen, Deutsch lernen und Wurzeln schlagen, stellt ihr Wohl am Ende nicht in den Vordergrund, wie es die in Verfassungsrang befindliche UN-Konvention über ihre Rechte gebieten würde, sondern hintan.

Das gehört diskutiert: In zu vielen Bereichen neigt die Politik zu einem leichtfertigen Umgang mit höheren Rechten. Gerade in der Pandemie wird das sichtbar. In so unterschiedlichen Bereichen wie der Erwerbs- oder der Versammlungsfreiheit etwa. Da und dort kommt es zu Beschränkungen. Sie können sehr gut begründet sein. Wenn, dann gehören sie daher auch sehr gut begründet. Pressekonferenzen und -aussendungen reichen nicht aus dafür. Nötig wäre es zumindest, schwarz auf weiß und öffentlich darzulegen, welche Annahmen zu einem bestimmten Ergebnis geführt haben. Die Schließung von Lokalen und das Verbot von Demos sind schließlich sehr große Grundrechtseingriffe von allgemeinem Interesse.

„Rechtspflege“ hat in Österreich auch noch eine ganz andere Ausprägung: In diesem Fall wird nichts ignoriert und auch nichts unbrauchbar-schlampig, sondern einfach gar nicht geregelt. Siehe Corona-Impfungen. Hier geht es um einen „Game-Changer“ bzw. um das Retten von Leben sowie die Überwindung einer Krise, die (z.B.) volkswirtschaftlich laut Nationalbank schon mehr als 30 Milliarden Euro Schaden angerichtet hat. Zumal der Impfstoff so rar und allein von daher unglaublich wertvoll, sprich begehrt ist, wäre es naheliegend, die Verteilung rechtsverbindlich zu regeln. Das geschieht jedoch nicht. Also haben sich Bürgermeister und andere, die vordrängeln, eher nur moralisch etwas vorzuwerfen. Was vielleicht auch genau das Motiv dafür ist, diese Impfungen in einem rechtsfreien Raum zu belassen und sich mit Empfehlungen zu begnügen.

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