Im Geiste von Sebastian Kurz

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ANALYSE. Der ÖVP-Umgang mit dem EuGH-Urteil zur Indexierung der Familienbeihilfe lässt tief blicken: Es wird ein Gerechtigkeitsempfinden gepflegt, das sich letzten Endes über alles und jeden hinwegsetzen könnte.

Die Überraschung hielt sich in Grenzen, als vergangene Woche die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) bekannt wurde: Die Indexierung der Familienbeihilfe ist rechtswidrig. Damit ist von vornerein gerechnet worden. Genauer: Man hatte davon ausgehen müssen. Es geht nicht, alle EU-Bürger, die in Österreich arbeiten, gleich viel einzahlen zu lassen, bei der Auszahlung aber nach Wohnort der Kinder zu staffeln; sodass es etwa für Buben und Mädchen, die in Rumänien leben, deutlich weniger Geld gibt. Das kann man finden, wie man will; es ist Recht, das zu beachten ist.

Die türkis-blaue Regierung Sebastian Kurz 1 hat darauf gepfiffen. Motto: Wir machen, was uns passt. Oder, wie es der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) in einem anderen Zusammenhang betonte: Recht hat der Politik zu folgen. Auch wenn sich das zunächst nur vorübergehend machen lässt, bis eben ein höchstgerichtliches Urteil daherkommt. Darauf hat man es jedoch ankommen lassen.

Schlimmer: Nicht einmal heute gibt es ein Problembewusstsein dafür, kein Bedauern, nichts. Karl Nehammer lässt alten Stil weiter pflegen. Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) betont zwar, dass die EuGH-Entscheidung „selbstverständlich zur Kenntnis zu nehmen“ ist, sie aber weiterhin der Ansicht sei, „dass eine Anpassung der Familienleistungen für Kinder, die im Ausland leben, an die dortigen Lebensumstände nur fair wäre“. ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner setzt auf Twitter noch sehr viel mehr drauf: Es sei bedauerlich, dass „erneut ein derart zentrales Integrationsvorhaben von einem Höchstgericht gekippt wurde“, schreibt sie: Als Volkspartei werde man weiter für Gerechtigkeit kämpfen – „daran ändert auch das EuGH-Urteil nichts!“

Rechtspopulistische Politik versucht hier, eine Niederlage in eine moralische Bestätigung umzudeuten. Ihr Glück ist leider, dass ihr eine ernsthafte Debatte darüber erspart wird: Wie erwähnt hat sie fahrlässig insofern agiert, als sie etwas gemacht hat, bei dem sie davon ausgehen musste, dass es Unrecht ist und daher Konsequenzen haben dürfte.

Eine handfeste Konsequenz ist, dass nun sehr viel Geld nachgezahlt werden muss. Raab hat in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung vor einigen Wochen bereits erklärt, für den Fall der Fälle 220 Millionen Euro „rückgestellt“ zu haben. In Wirklichkeit handelt es sich um Geld, das weder sie noch die Regierung hat. Es ist ein Schaden, der so mir nichts, dir nichts in Kauf genommen worden ist und für den heute auch niemand Verantwortung übernehmen mag. Es gibt nicht einmal den Ausdruck eines Bedauerns. Im Gegenteil: Man stellt eher noch den EuGH als Übeltäter dar.

Das Problem geht in Wirklichkeit über die Formel „Recht hat der Politik zu folgen“ von Kickl hinaus, dessen Partei europäisches Recht in solchen Fragen heute überhaupt kippen würde: Man lässt Recht einfach Recht sein und macht, was man im Sinne eines Wahlerfolgs machen möchte. Und man diskreditiert die Hüter des Rechts. Natürlich muss man letztlich akzeptieren, was sie entscheiden. Sie jedoch immer und immer wieder herauszufordern, absehbares urteilen zu lassen und dann auch noch anzugreifen, läuft auf einen gefährlichen Prozess hinaus, an dessen Ende sich ein Gerechtigkeitsempfinden über alles und jeden hinwegzusetzen droht.

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