ANALYSE. Das Amtsgeheimnis wird nicht abgeschafft: Zu sehr wird eine Kultur gepflegt, aus der es kommt. Selbst die Überwindung der Coronakrise läuft unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Seit Jahren wartet Österreich auf die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) will bis zum Sommer einen neuen Anlauf nehmen. Über einen Erfolg müsste man sich wundern. Transparenz würde nicht zuletzt gelebter Praxis widersprechen.
Vor allem aber gab’s schon einmal eine Mogelpackung: 2017 war die damalige Koalition, gebildet von SPÖ und ÖVP, nah dran, das Amtsgeheimnis durch Informationsfreiheit zu ersetzen. Klingt gut, war’s aber nicht. Der Staats- und Verwaltungsrechtler Ewald Wiederin kam zu einem vernichtenden Urteil: Das Geheimhaltungsprinzip wäre nicht abgeschafft worden, es hätte nur „die Kleider gewechselt“ und wäre letzten Endes noch schlimmer geworden.
Kaum zu glauben, von Wiederin in einem Aufsatz in „scrinium“, der „Zeitschrift des Verbandes Österreichischer Archivarinnen und Archivare“ (Band 72/2018) jedoch nachvollziehbar ausgeführt. Verdächtig war demnach schon die Antwort auf die Frage, was eine Information denn überhaupt ist. Begriffe wie Unterlagen und Dokumente seien vermieden worden. Im Übrigen sollte es sich nur um Tatsachen handeln, die bereits bekannt sind und nicht um solche, die erst erhoben werden müssen. Wiederin: „Damit ist die Information fast schon wieder auf das zurückgestutzt, was sonst nach geltendem Recht als Auskunft geschuldet ist.“
Vor allem aber stand der Informationsfreiheit eine lange Liste sehr weit gefasster Einschränkungen gegenüber. Wortlaut: „Jedermann hat das Recht auf Zugang zu Informationen, soweit deren Geheimhaltung nicht aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen, im Interesse der nationalen Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung oder der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Vorbereitung einer Entscheidung, im wirtschaftlichen oder finanziellen Interesse einer Gebietskörperschaft oder eines sonstigen Selbstverwaltungskörpers oder zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen erforderlich oder zur Wahrung anderer gleich wichtiger öffentlichen Interessen durch Bundes- oder Landesgesetze ausdrücklich angeordnet ist.“ Alles? Nein, abschließend folgte eine Ausnahme für die Kammern: „Die gesetzlichen, beruflichen Vertretungen sind nur gegenüber ihren Angehörigen verpflichtet, Zugang zu Informationen zu gewähren.“
Mein Gott, könnte man jetzt einwenden, das ist Geschichte! Jedoch: Damit man hoffen könnte, dass jetzt aber wirklich Geheimniskrämerei durch Transparenz und Offenheit ersetzt wird, müssten ebendiese auch gelebt werden, wo es möglich ist. Gleich vorweg: Es wird nicht getan. Im Gegenteil.
Gerade ist bekannt geworden, dass sich Gutachter schwer tun, für den Unabhängigen Parteien-Transparenzsenat abzuschätzen, ob die ÖVP die Wahlkampfkostenbeschränkung von sieben Millionen Euro 2019 eingehalten hat oder nicht. Begründung: Die Partei gewähre zu eingeschränkte Auskünfte.
Doch kommen wir zu staatlichen Handlungen: Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gestand vor wenigen Tagen, dass im Corona-Krisenstab kein Protokoll geführt werde. Im Klartext: Selbst wenn irgendwann einmal maximal mögliche Informationsfreiheit eingeführt werden würde, wäre es unmöglich, nachzuvollziehen, was in der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg wie zustande gekommen ist. Verschriftlichungen sind schließlich tunlichst vermieden worden.
Das AMS hätte wiederum tagesaktuelle Informationen zur Entwicklung der Arbeitsmarktlage. Selbst die Monatsdaten werden jedoch erst veröffentlicht, wenn die zuständige Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) eine Presseerklärung dazu abgegeben hat. Wobei es um klassische „Message Control“ geht. Aschbacher verschafft sich damit eine Deutungshoheit, die ihr aufgrund eines Medienbetriebs mit beschränkten Möglichkeiten kaum je genommen wird. Sprich: Was sie sagt, bleibt so stehen – und wird irgendwann zur gefühlten Wahrheit.
Die Coronakrise eignet sich überhaupt hervorragend, um die Amtsgeheimnis-Kultur zu verdeutlichen: Die verfügbaren Daten sind von bescheidener Qualität. Man kann nicht einmal sagen, wie viele Leute in den vergangenen Wochen ins Spital gebracht worden sind. Viel mehr aussagen könnten möglicherweise Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS). Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat sogar eine Plattform präsentiert, über die ein Zugang gewährt werden soll – allerdings nur auf Antrag und ausschließlich einer „wissenschaftlichen Community“.
Nicht einmal Überlegungen zur Zukunft gehen die Bürgerinnen und Bürger etwas an. In der Schweiz beschäftigt sich eine Task Force damit, ihre Beiträge sind frei zugänglich auf einer Website abrufbar. In Österreich gibt es auf der Website des Kanzleramts lediglich einen Hinweis, dass ein „Future Operations Clearing Board“ existiere. Moderiert von „Think Austria“-Chefin Antonella Mei-Pochtler und Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger wird demnach interdisziplinär nachgedacht. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
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