„Erinnerungen an Kurz“

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ANALYSE. In der ÖVP gebe es Unmut darüber, dass eine sozialdemokratische Justizministerin die Diversion in der Causa Wöginger bekämpfen lasse, berichtet der „Kurier“: Eine alarmierende Geschichte.

So viel Unrechtsbewusstsein muss man erst einmal zusammenbringen: Für die ÖVP war der Postenschacher, an dem ihr Klubobmann August Wöginger bei der Bestellung eines neuen Finanzamtsleiters in Oberösterreich beteiligt war, nicht Korruption, sondern eine Lässlichkeit. Sie sieht denn auch bis heute keine Notwendigkeit, Konsequenzen zu ziehen und zum Beispiel Vorschläge für eine Objektivierung von Postenbesetzungen vorzulegen; und ihr Chef, Christian Stocker, ist denn auch davon ausgegangen, dass sich der Fall mit einer nicht rechtskräftigen Diversion für seinen Parteifreund erledigt hat.

Dabei war die Verwunderung über die Diversion, der die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zugestimmt hatte, groß. Bei Amtsmissbrauch sei Diversion eigentlich für Müllmänner vorgesehen und eher nicht für Wöginger, berichtete der „Standard“ Anfang Oktober. Hintergrund: Bis 2014 war Diversion bei Missbrauch der Amtsgewalt ausgeschlossen. Seither ist sie eingeschränkt möglich. Wobei der Anlass für die Änderung einen Hinweis darauf liefert, wann: Drei Mitarbeiter der Wiener Müllabfuhr waren verurteilt worden, weil sie bei Gärtnereien zu viel Grünmüll mitgenommen hatten; zwar ohne Vorteil für sich selbst, die Gärtnereien ersparten sich dadurch jedoch Entsorgungsgebühren.

In der Causa Wöginger ist es um sehr viel mehr gegangen: Ein Parteifreund wurde anstelle einer besser qualifizierten Kandidatin Leiter des Finanzamtes Braunau. Er erfuhr damit eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung, sie eine solche Benachteiligung. Und natürlich wurde auch die Machtposition der ÖVP gestärkt: Es zeigte sich, was sie für einen Günstling checken kann.

Das ist nicht alles. Es war ein verheerendes Signal nach innen und nach außen. Beamtinnen und Beamten wurde gezeigt, wie sehr ihr Fortkommen von parteipolitischer Unterstützung abhängig ist. Der Öffentlichkeit wurde wiederum demonstriert, wie übel es um die Unabhängigkeit der Verwaltung bestellt ist.

Jetzt hat die Oberstaatsanwaltschaft Wien also die WKStA angewiesen, die Diversion für Wöginger zu bekämpfen: Die Verwirklichung eines Tatbestands mit einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe signalisiere „ein hohes Maß an krimineller Energie sowie einen erheblichen sozialen Störwert und damit einen gesteigerten Unrechtsgehalt“. Zudem erreiche Handlungs- und Gesinnungsunwert von Wöginger und seinen beiden Mitangeklagten „ein Ausmaß, das als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen“ sei, „sodass insgesamt von schwerer Schuld auszugehen ist“.

Wie reagiert man in der ÖVP? Nach außen hin gelassen. Intern scheint es zu brodeln. Aber wie: Laut bürgerlichem und hier besonders gut informiertem „Kurier“ wird über „Koalitionsbruch“ gemunkelt. Grund: Die Oberstaatsanwaltschaft hatte ihr Vorhaben – wie immer in öffentlich relevanten Fällen – der Justizministerin gemeldet und diese, die Sozialdemokratin Anna Sporrer, hatte nicht Einspruch erhoben, sondern es abgenickt.

Schlimmer: „Erinnerungen an Kurz“ würden wach werden. Das werde man sich nicht bieten lassen: „Wir lassen und den Gust (Wöginger) nicht hinausschießen, wie damals Sebastian Kurz“, ist laut „Kurier“ eine auf Funktionärsebene „verbreitete Devise“. Auch über die ÖVP-Spitze herrsche Umut: Sie habe auf Koalitionsebene zu wenig unternommen, damit die Causa nach der Diversion tatsächlich vom Tisch sei“.

Sprich: Es wird nicht nur Korruption in Form von Postenschacher als normal erachtet, sondern auch Einflussnahme auf eine Staatsanwaltschaft in eigener Sache. Ja, man ist empört, wenn eine solche nicht vorgenommen wird.

Hier wird an Rechtsstaatlichkeit gerüttelt.

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