ANALYSE. Zurück in die Vergangenheit: Die Parteitagsrede von Karl Nehammer enthielt eine entlarvende Passage zur Informationsfreiheit.
Bundeskanzler Karl Nehammer hat den ÖVP-Parteitag überstanden. Nachdem er seit Dezember nur designierter Obmann war, ist er nunmehr mit 100-prozentigem Zuspruch gewählter. Über diese Einstimmigkeit könnte man viel schreiben: Wie stark ist die Überzeugung, die summa summarum dahintersteckt? Wie lange wird der Zuspruch anhalten? Für Nehammer wichtiger scheint jedoch dies: Sebastian Kurz ist endgültig Geschichte. Er hatte in Graz keine Bühne bzw. konnte keine nützen. Er äußerte sich zu Belanglos-Privatem, erntete höflichen Applaus – und das wars. Auf Wiedersehen.
Den meisten Funktionären scheint klar zu sein, dass man jetzt nicht anders kann, als mit Nehammer das Beste aus der misslichen Lage zu machen. 37,5 Prozent (Nationalratswahl 2019), ja auch 31,5 Prozent (2017) wird’s nicht mehr geben. Vielleicht geht sich der Kanzler noch einmal aus, aber auch das nur schwer. Man muss froh sein, mit Nehammer einen gefunden zu haben, der sich dafür hergibt.
Bemerkenswert ist auch, wie viel klassische ÖVP es wieder gibt. Ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel: Zu den ersten Versprechen von Sebastian Kurz zählte einst die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Damit wollte er wohl zum Ausdruck bringen, dass sich wirklich viel ändern soll in diesem Staat. Auch im Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern, also dem Souverän. Dieser hat selbstverständlich Anspruch auf Information.
Geworden ist daraus schon unter Kurz nichts. Und jetzt sollte man sich erst recht keine Hoffnung mehr machen: „Wir sperren uns nicht gegen Informationsfreiheit“, sagte Nehammer in seiner Parteitagsrede, „aber wir sind auch die Partei der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Ja zu Transparenz, aber auch ja zu einer funktionierenden Verwaltung, die nicht von Querulanten lahmgelegt werden kann.“
Fast alle westlichen Demokratien haben Informationsfreiheit. In Österreich ist sie auch im Jahr 2022 nicht absehbar: Hier meint der Staat, es handle sich allenfalls nur um einen Gnadenakt, dürften Bürgerinnen und Bürger vielleicht ein paar Rechte, aber keine Ansprüche haben, die ihnen als demokratische Wesen zustehen würden.
Wo kommen wir hin, wenn jeder Auskunft verlangen dürfte? Warum etwa die Gemeinde in einer bestimmten Sache so und so entschieden habe. Oder bei wem das Land inseriere. Und so weiter uns so fort. Nehammer tut den Souverän als Querulant ab. Klar: Er meint (unbestimmte) Einzelne. Es bleibt aber bei einer De-facto-Absage an die Einführung einer Informationsfreiheit. Sie würde den umgekehrten Zugang voraussetzen: Die Bürgerinnen und Bürger müssen alles erfahren können dürfen; der Staat muss sich überlegen, wie er das erfüllen kann. In Schweden schafft er’s. Vielleicht wäre einmal eine Exkursion dorthin nützlich?
Es gibt Überlegungen, die Informationsfreiheit halt nur auf Bundeszuständigkeiten zu beschränken. Auch hier sollte man jedoch skeptisch bleiben. Erstens: Es ist kein Informationsschutzbeauftragter vorgesehen, der bei Auskunftsbegehren behilflich sein könnte. Zweitens: Was bisher vorliegt, droht – u.a. nach Einschätzung des Verwaltungsrechtlers Ewald Wiederin – lediglich eine Art Umkehrung des Amtsgeheimnisses zu werden. Grund ist eine lange Liste sehr vage formulierter Einschränkungen. In Verbindung mit Punkt eins würde das im schlimmsten Fall auf eine willkürliche Abwehr von Informationsgesuchen hinauslaufen.
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