An der Realverfassung wird gerüttelt

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ANALYSE. Michael Ludwig, Peter Kaiser und Leonore Gewessler stören die Länderform, Politik zu machen. Schlecht? Bei weitem nicht nur.

Die Landeshauptleutekonferenz ist ein informelles Treffen der neun österreichischen Landeshauptleute. Der Vorsitz wechselt halbjährlich, derzeit ist Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) dran. Die regelmäßigen Zusammenkünfte sind wie Klassentreffen. Die Stimmung ist blendend. Kein Wunder: Mit Folgen weitreichender Entscheidungen, wie jener vom November 2021, die Impfpflicht einzuführen, müssen sich andere herumschlagen.

Es geht so weit, dass Landeshauptleute einander näherstehen als eigenen Parteifreunden. Bei Finanzausgleichsverhandlungen beispielsweise ist der Finanzminister der „Gegner“ aller. Das hat zuletzt auch Magnus Brunner (ÖVP) zu spüren bekommen. Selbst sein Landsmann und Parteifreund Markus Wallner aus Vorarlberg trat ihm gegenüber kämpferisch auf.

Im Gefüge der Landeshauptleutekonferenz hat es jetzt aber eine kleine Störung gegeben. Der Wiener Michael Ludwig und der Kärntner Peter Kaiser (beide SPÖ) haben öffentlich wie medienwirksam kundgetan, dass sie von der bisherigen gemeinsamen Linie zum EU-Renaturierungsgesetz aufgrund von Veränderungen bei diesem nichts mehr halten; dass sie jetzt für dieses Gesetz seien. Letzten Endes haben sie sich eh zurückgehalten und eine einheitliche Stellungnahme der Länder dazu nicht explizit aufgekündigt. Ihr Vorgehen war jedoch ungewöhnlich. Es könnte wie ein Schatten über dem nächsten Treffen der Landeshauptleute liegen: Immerhin haben sie ihren Kollegen zusätzlichen Erklärungsbedarf beschert, warum sie gegen Renaturierung seien und so weiter und so fort.

Ludwig und Kaiser werden es überleben, die Folgen könnten jedoch weitreichend sein: Entscheidungsprozesse der Länder sind in den Fokus gerückt. Es wird darauf hingewiesen, dass Protokolle der Landeshauptleutekonferenz nicht veröffentlicht werden. Es wird plötzlich in Erinnerung gerufen, dass es für die Wahrnehmung von Länderinteressen in Bezug auf europäische Fragestellungen eine eigene, gesetzlich verankerte „Integrationskonferenz der Länder“ gibt.

Die „IKL“, so die offizielle Abkürzung, könnte ausdrücklich auch gemeinsame Stellungnahmen abgeben, an die Regierungsmitglieder gebunden sind, sofern es um Angelegenheiten der Länder geht. Bloß: Die Konferenz, der neben Landeshauptleuten – aus demokratiepolitischen Gründen – auch die Landtagspräsidenten angehören würden, tagt nie. Man regelt sich das anders. Über die Landeshauptleutekonferenz etwa.

Ist das sauber? Hier tut sich die Chance auf, dass es zu einem Klärungsprozess kommt. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sieht ihre Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz unter anderem durch ein Gutachten gedeckt, das der Rechtsanwalt Florian Stangl erstellt hat. Darin heißt es:

„Da die einheitlichen Länderstellungnahmen vom November 2022 und Mai 2023 (VSt-4791/68 bzw. VSt-4791/198) nicht von der Integrationskonferenz der Länder beschlossen wurden, sprechen die besseren Gründe dafür, dass die formalen Erzeugungskriterien für eine rechtsverbindliche einheitliche Stellungnahme iSd Art. 23d Abs. 2 B-VG nicht erfüllt wurden. Den Stellungnahmen kommt daher meines Erachtens keine rechtliche Bindungswirkung hinsichtlich der Abstimmung im Rat zu.“

Diese Interpretation geht möglicherweise zu weit: In den Bestimmungen zur Integrationskonferenz heißt es, dass Stellungnahmen, die sie zu Vorhaben der europäischen Integration abgebe, als einheitliche Stellungnahmen der Länder gelten würden. Was nicht zwangsläufig bedeutet, dass ebensolche nur von ihr kommen können. Dank rechtlicher Schritte, die die ÖVP jetzt gegen Gewessler eingeleitet hat, dürfte derlei jedoch endlich einer überfälligen Klärung zugeführt werden.

Es geht nicht darum, informelle Räume zu verbieten, in denen Politik notwendigerweise auch stattfinden können muss, in denen zum Beispiel Vertraulichkeit gewahrt wird und es möglich ist, heikle Dinge auszuloten. Es geht darum, dass konkrete Entscheidungsprozesse in einem geregelten Rahmen stattfinden müssen. Dass dabei ein Mindestmaß an Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewährleistet sein muss. Wie es sich in einem demokratischen Rechtsstaat eben gehört, in dem man „Wer, was, warum“ bzw. Verantwortlichkeiten kennen muss.

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