ANALYSE. Warum sich gerade die Regierung Stocker nicht erwarten kann, dass Ältere ganz selbstverständlich bereit sind, einen Beitrag zur Budgetsanierung zu leisten und eine reale Pensionskürzung hinzunehmen.
Beim „Falter“ drüben ist gerade darauf hingewiesen worden, dass Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) einen neuen Begriff in seinen Sprachgebrauch aufgenommen habe: Ungemach. „Im Sinne eines Unheils, das uns allen bevorsteht.“
Auch der Regierung Stocker: Sie ist mit dem Problem konfrontiert, dass zwar alle Menschen die multiplen Krisen sehen, dass sie aber nicht erwarten kann, dass zum Beispiel Ältere so ganz selbstverständlich einen Beitrag zur Budgetsanierung leisten und einen reale Pensionskürzung hinnehmen. Auf eine solche würde eine Anpassung um durchschnittlich zwei bzw. weniger als 2,7 Prozent nämlich hinauslaufen.
Natürlich kann man finden, dass jetzt alle zusammenhalten und den Gürtel enger schnallen müssen. Ganz so einfach ist die Sache jedoch nicht. Nicht nur, aber besonders bei Pensionisten.
Grund 1: Genauso wenig wie die massive Teuerung ist die Budgetkrise ausschließlich höhere Gewalt. Daher stellt sich die Frage nach Verantwortlichkeiten bzw. dem Umgang mit Verantwortung: Vor einem Jahr noch hat der damaligen Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer erklärt, dass kein Sparpaket nötig sei, hat Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) großzügig auf eine Gebührenanpassung verzichtet. Beides war rückblickend fahrlässig, es hat die Budgetkrise verschärft.
Und das sollen Bürger jetzt einfach auslöffeln, zumal sich Brunner und Nehammer vom Acker gemacht haben, der eine EU-Kommissar und der andere Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank geworden ist? Es hat etwas von einer Zumutung.
Im Übrigen ist es ein Dilemma, dass nicht passieren konnte, was demokratiepolitisch notwendig gewesen wäre: Dass nicht nur die Grünen, sondern auch die ÖVP in Opposition gehen muss. Nach dem, was sie beim Budget mitzuverantworten hat, wäre es angebracht gewesen. Von den verhängnisvollen, sogenannten Anti-Teuerungsmaßnahmen gar nicht zu reden.
Grund 2: Seit Jahr und Tag wird Pensionisten erklärt, dass Pensionen sicher seien. Eine reale Kürzung ist jedoch ein Widerspruch dazu. Es ist Ausdruck dafür, dass hier etwas nicht stimmen kann.
Grund 3: Im ORF-Sommergespräch hat Stocker befunden, dass eine Pensionsanpassung von durchschnittlich zwei Prozent gut wäre. Was in budgetärer Hinsicht korrekt ist. Keine Frage. Sofern er bei Zusehern Verständnis dafür gewonnen hat, hat er es in einem anderen Zusammenhang jedoch wieder verspielt: Ein längeres Einfrieren der Parteienförderung schloss er aus. Das war bemerkenswert: Es gibt wohl kein Land weltweit, in dem Parteien so massiv gefördert werden.
Der Hinweis darauf, dass sie wichtig seien, hat sehr viel, aber das Argument, dass sie kaum noch Spenden annehmen dürften, nichts: Parteien halten in Österreich sogar Unternehmensbeteiligungen, sind kreativ über Vereine und Vorfeldorganisationen. Sprich: Wenn sie keinen ernsthaften Beitrag zur Budgetsanierung leisten, kann man es von einzelnen Bürgern nicht erwarten; auch wenn es selbstverständlich nur ein symbolischer Beitrag wäre.
Grund 4: Wo ist die Perspektive? Stocker hat keine zu bieten. Er bemüht sich, in unheimlich turbulenten Zeiten in einem – auch von Parteifreunden hinterlassenen – Scherbenhaufen zurechtzukommen und dabei die Ruhe zu bewahren. Was ihm gelingt. Wesentlich für die Bereitschaft einer breiten Masse, Einschnitte hinzunehmen, wäre jedoch eine Aussicht auf bessere Zeiten. Doch gerade sie ist in Österreich nicht vorhanden. Es ist ein Drama: Bei einer aktuellen Eurobarometer-Erhebung gaben nur zehn Prozent an, zu glauben, dass ihr Lebensstandard in fünf Jahren besser sein wird. Das ist der niedrigste Wert europaweit.
Grund 5: Für eine Perspektive wichtig wären auch Strukturreformen und glaubwürdige, längerfristige Planungen. Diesbezüglich hapert es jedoch ebenfalls: Seit den ersten Sparpaketen in den 1990er Jahren heißt es, dass gleichzeitig auch nachhaltig wirkende Strukturreformen angegangen werden. Heute glaubt das kein Mensch mehr. Zumal Bund, Länder und Gemeinden noch immer nichts vorgelegt haben.
Von belastbaren, längerfristigen Planungen nicht zu reden: Nicht einmal der aktuelle Budget-Strategiebericht für die Jahre ab 2027 ist schlüssig. Da fehlen die steigenden Verteidigungsausgaben, die sich die Regierung vorgenommen hat (Ziel: 2 Prozent des BIP im Jahr 2032); und da fehlt etwa auch jegliche Vorsorge für allfällige Strafzahlungen wegen der Verfehlung von Klimazielen, von denen Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) ja schon fix auszugehen scheint.