Armut: Unbrauchbare Zahlen

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ANALYSE. 1,3 Millionen Menschen in Österreich seien armutsgefährdet, lautete eine verbreitete Meldung zum jüngsten Sozialbericht der Regierung: Es ist irreführend und im Übrigen wohl falsch.

Dass 1,3 Millionen Menschen in Österreich armutsgefährdet seien, weiß man schon länger. Die Zahl bezieht sich auf das Jahr 2022. Was insofern relevant ist, als sie in Zeiten einer größeren Teuerung trotz nicht vernachlässigbarer Ausgleichsmaßnahmen (inkl. Lohnrunden und Pensionsanpassungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr der Wirklichkeit entspricht.

Zweitens: Der Begriff beschreibt relative Armut. Vereinfacht ausgedrückt besagt er, dass armutsgefährdet ist, wer keine 60 Prozent des Medianeinkommens erreicht. Das macht durchaus Sinn: Es ist zumindest ein Hinweis darauf, dass es für Betroffene unmöglich sein könnte, sich zum Beispiel das zu leisten, was in einer Gesellschaft als normal gilt, ja was gängiger Standard ist.

Als absolut arm galten 2022 rund 200.000 Menschen in Österreich. Heute dürften es eher mehr sein. Absolut arm ist etwa, wer zumindest sieben von 13 vorgegebenen Kriterien erfüllt. Laut einer Haushaltserhebung der Statistik Austria zu sozialen Krisenfolgen im letzten Quartal des vergangenen Jahres dürften das viel mehr als 200.000 tun.

25 bis 27 Prozent können es sich eigenen Angaben zufolge nicht leisten, einmal im Jahr auf Urlaub zu fahren, unerwartete Ausgaben von 1300 Euro aus eigenen Mitteln zu bewältigen oder regelmäßigen Freizeitaktivitäten nachzugehen, die Geld kosten. 17, 18 Prozent erklären, sich nicht hin und wieder selbst eine Kleinigkeit gönnen zu können oder abgenützte Möbel zu ersetzen. Zwölf Prozent ist es unmöglich, einmal im Monat mit Bekannten auszugehen. Je neun Prozent – umgelegt auf die Gesamtbevölkerung rund 800.000 – können sich kein Auto leisten oder abgenützte Kleidung zu ersetzen – nach Nennungen gereiht sind das die Kriterien sechs und sieben.

Die Botschaft: Gut ein Viertel der Menschen in Österreich lebt de facto von der Hand im Mund, hat kaum etwas übrig, um eben zum Beispiel unerwartete Ausgaben tätigen zu können. Bei einem erheblichen Teil ist auch eine Teilhabe am sozialen Leben ganz offensichtlich unmöglich.

Geht man auf der Liste – gereiht nach Nennungen – weiter nach unten, zeigt sich, dass deutlich mehr als 200.000 Schwierigkeiten haben dürften, auch nur Mindeststandards zu erreichen. 7, 8 Prozent können die Miete oder einen Kredit nicht rechtzeitig zahlen, die Wohnung angemessen warmhalten oder – aus finanziellen Gründen – auch nur an jedem zweiten Tag ein Hauptgericht zu sich nehmen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung entspricht das jeweils mehr als 600.000.

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