ANALYSE. Zur geplanten Stürmung der Parlamentsrampe läuft eine türkis-blaue Auseinandersetzung, die besorgniserregend ist.
Türkise muss eine fortschreitende Radikalisierung der Blauen unter Führung von Klubobmann Herbert Kickl nicht stören. Zwar fällt ihnen damit mehr und mehr ein potenzieller Koalitionspartner weg; mit diesen Freiheitlichen kann und will aber ohnehin auch sonst wirklich niemand mehr regieren. Im Übrigen bleiben SPÖ, Grüne und Neos zusammen in der Minderheit und die Türkisen selbst weit vorne: Viel mehr können Sebastian Kurz und Familie kaum wollen. Neben allen Krisen und Affären ist das ein kleiner Trost für sie.
Umgekehrt braucht Kickl die Auseinandersetzung mit der ÖVP: Nur so kann es ihm gelingen, Wechselwähler zurückzuholen. Aber so? Seit mehreren Wochen ist eine türkis-blaue Eskalationsspirale im Gang: Kickl marschiert mit Rechtsextremen gegen Corona-Beschränkungen. Er versucht all jene einzusammeln, die meinen, dass es keine Notwendigkeit gebe, achtsam miteinander umzugehen. Maskenverweigerer und Impfgegner machen gut und gerne 20 Prozent der Wählerschaft aus, die sonst von niemandem und daher umso intensiver von Kickl umworben werden.
Ende Jänner berichtete die Tageszeitung „Der Standard“, dass Teilnehmer einer Demonstration geplant hätten, die Parlamentsrampe in Wien zu stürmen. Freiheitliche sprechen bis heute von „falschen Behauptungen“. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach dagegen umgehend – ebenfalls laut Standard – von Bildern, „die an den Sturm auf das US-Kapitol erinnerten“.
Aus heutiger Sicht kann man Nehammer einen Vorwurf daraus machen: Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Kundgebungsteilnehmer die Absicht hatten, die Parlamentsrampe, die derzeit Teil einer großen Baustelle ist, zu stürmen. In einer Anfragebeantwortung berichtet der Minister, dass Kriminalbeamte, die den Demonstrationszug begleiteten, das so wahrgenommen hätten. „Sofort“ sei daher die sichtbare polizeiliche Präsenz beim Parlament erhöht worden.
Zu Bildern wie beim Sturm auf das US-Kapitol konnte es jedoch nicht kommen. Die Rampe wurde nicht gestürmt. Das bestätigt Nehammer in seiner Anfragebeantwortung: „Ein Erreichen des Parlamentsgebäudes (durch Demonstranten; Anm.) war in weiterer Folge auch kein Thema mehr, da der Hauptagitator der bereits aufgelösten und nicht angezeigten Kundgebung knapp vor Erreichen des Parlaments etwa in Höhe des Denkmals der Republik den Demonstrationszug über den Schmerlingplatz auf die 2-er Linie führte und dies auch mit Kommentaren versehen live streamte.“ Soll heißen: Ein Vergleich mit dem Mob, der Anfang Jänner ins Kapitol eindrang, ist unpassend. Was jedoch nichts daran ändert, dass der Vorfall von Wien sehr ernst zu nehmen ist.
Umso bemerkenswerter ist dies: „Die von den Kriminalbeamten wahrgenommene Ankündigung (von Kundgebungsteilnehmern; Anm.) sich zum Baustellengelände des historischen Parlamentsgebäudes zu begeben, wurde durch sofortige Sicherungsmaßnahmen unmöglich gemacht“, so Nehammer. Jedoch: „Mangels Vorliegens einer Straftat oder eines gefährlichen Angriffs gibt es keine Grundlage zur Ausforschung dieser Personen.“ Sprich: Es gibt offenbar Leute, die bereit sind, eine staatliche Institution zu stürmen, die man, einmal daran gehindert, jedoch ziehen lässt. Als würde mit ihnen kein weiteres Sicherheitsrisiko mehr einhergehen: Da hat nicht nur Nehammer ein Problem. Selbst wenn es an gesetzlichen Grundlagen mangelt, gegen solche Gefährder vorzugehen. Dann könnte, ja müsste der Innenminister zumindest eine entsprechende Novelle verlangen.
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