Nützliche Idioten II

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ANALYSE. Die mutmaßliche Spionage für Russland ist eine Staatsaffäre. Zu versuchen, sie politisch allein Kickl in die Schuhe zu schieben, greift zu kurz. Hier steht ein größeres Versagen im Raum.

Vor einem Jahr hat der britische „Economist“ Österreich zu „Putins nützlichen Idioten“ gezählt. Damals ging es um die begrenzte Solidarität mit der Ukraine und den (wertmäßig) stark ausgeweiteten (Gas-)Handel mit Russland. Ein Widerspruch? Wie man’s nimmt: Wenn man schlitzohrig Dinge wie „Neutralität“ und „Brückenbauer“ vorschiebt, kann man sich allerhand zurechtreden.

Jetzt steht eine mutmaßliche Spionageaffäre im Raum. Der ehemalige Verfassungsschützer Egisto Ott sitzt in U-Haft. Er wird verdächtigt, gegen Österreich und für Russland gearbeitet zu haben. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker versucht bereits, das Ganze auf die übliche parteipolitische Ebene zu ziehen. In einer Aussendung sprach er schon einmal von einem „rot-blauen Netzwerk“, weil sich Ott laut „Presse“ als aktives SPÖ-Mitglied bezeichnet habe und weil er in seiner Zeit beim Verfassungsschutz (BVT) auch in Kontakt mit Spitzenfunktionären der FPÖ gewesen sei, deren heutiger Obmann Herbert Kickl 2018/2019 ja sogar Innenminister war.

Ein so beschränkter, wahlkampfmotivierter Zugang darf nicht durchgehen. Hier handelt es sich um nichts weniger als eine Gefährdung der nationalen Sicherheit bzw. eine Staatsaffäre, die sich in einem unsäglichen Umfeld zuträgt; in einem Umfeld, bei dem man sich über nichts wundern kann: Wie der „Economist“ Österreich vor einem Jahr zu „Putins nützlichen Idioten“ zählte, bezeichnete ein europäischer Diplomat die Republik vor zwei Jahren in der „Financial Times“ als „wahren Flugzeugträger“ russischer Spionage. Reaktionen hierzulande? Null.

Wien sei schon während des Kalten Kriegs eine Hochburg für Spione gewesen, berichtete der eidgenössische SRF wenig später – und das sei die Stadt auch heute, zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, da die FPÖ längst wieder in Opposition ist: „Tausende Agentinnen und Agenten sind in der Donaumetropole aktiv und versuchen, geheime Informationen für ihr Heimatland zu beschaffen.“ Schlimmer: Seit dem Angriff auf die Ukraine habe die Tätigkeit russischer Schlapphüte „markant“ zugenommen. Eine Erklärung dafür sei, dass man in Österreich im Unterschied zur Schweiz bemüht sei, die Rolle des Gastgebers unendlich weit auszuüben: „Auch wenn man es mit einem Gast zu tun hat, der sein Gastrecht schon ziemlich überstrapaziert und diverse rote Linien überschritten hat.“ Soll heißen: Man drückt beide Augen zu. Man macht sich auch in diesem Zusammenhang zum nützlichen Idioten.

Angebracht wäre vor diesem Hintergrund ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der sich der Rolle Kickls als Innenminister und anderer Freiheitlicher als sonstige Regierungsmitglieder (zum Beispiel Heinz-Christian Strache als Vizekanzler, Mario Kunasek als Verteidigungsminister und Karin Kneissl als Außenministerin) vor fünf Jahren widmet: Wie stark waren ihre Verbindungen zu Russland? Was haben sie kraft ihres Amtes allenfalls für Putin gemacht?

Angebracht wäre ein Untersuchungsausschuss, der sich im Übrigen dem Umgang sämtlicher Kanzler und Minister der vergangenen Jahre mit Spionage widmet, sofern es auch nur entfernt in ihre Zuständigkeit gefallen sein könnte; sagen wir seit 2014, dem Jahr, in dem sich Putin die Krim unter den Nagel gerissen hat. Darüber hinaus wäre unter die Lupe zu nehmen, wie es zum Beispiel sein konnte, dass laut „Kurier“ Geheimdienste wie der amerikanische CIA und der britische MI6 zwar schon 2017 vor Egisto Ott gewarnt haben, dieser mutmaßlich aber weiter für die Russen tätig sein konnte. Was ist hier im Inneren schiefgelaufen, wo waren, wo sind etwa die Ressortchefs seither, von Wolfgang Sobotka über Karl Nehammer bis Gerhard Karner, haben sie das alles nicht ernstgenommen? (In die U-Haft brachte ihn jetzt ja bezeichnenderweise erst ein Hinweis britischer Behörden, die auf Chats zwischen Ott und dem in Russland untergetauchten Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek gestoßen waren.)

Ott soll 2022 etwa daran mitgewirkt haben, dass die Handys dreier ehemaliger Spitzenbeamten des Innenministeriums nach Russland gekommen sind. Die Geräte, die bei einer munteren Bootstour ins Wasser gefallen und vermeintlich zerstört waren, enthielten laut APA „dem Amtsgeheimnis unterliegende sensible dienstliche und private Daten“: Wie kann das sein? Gibt es hier keine Regeln, wie mit solchen Informationen umzugehen ist? Es sind so viele Fragen, die sich stellen, die für die Sicherheit der Republik relevant sind – und die daher gerade auch in einem Wahljahr, in dem es um die Zukunft geht, nicht unbeantwortet bleiben können.

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