Was Van der Bellen bleibt

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ANALYSE. Der Bundespräsident weiß, dass er Kickl als Kanzler nicht verhindern kann. Er konzentriert sich daher auf Einflussmöglichkeiten, die nicht unterschätzt werden sollten.

Man muss es immer wieder betonen: „Usancen“ und dergleichen täuschen darüber hinweg, dass der Bundespräsident sehr mächtig ist; dass er durch Direktwahl mit absoluter Mehrheit legitimiert ist, darauf zu achten, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleiben.

Alexander Van der Bellen macht das im Großen und Ganzen sehr gut. Dass er nicht gleich Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag erteilt hat, hat er schlüssig begründet. Kickl hatte niemanden, der bereit war, mit ihm zu verhandeln.

Es spricht im Übrigen für den Bundespräsidenten, dass er jetzt nicht sagt: „Nein, ich stelle mich Kickl weiter in den Weg und werde ihn unter keinen Umständen zum Kanzler machen. Lieber sorge ich für eine Expertenregierung und riskiere baldige Neuwahlen.“ Es wäre aussichtslos. Anders als die Karl Nehammer- ist die Christian Stocker-ÖVP nicht mehr kategorisch gegen eine Zusammenarbeit mit Kickl. Es ist erwartbar, dass es zu einer blau-schwarzen Einigung kommt.

Van der Bellen nimmt das zur Kenntnis: Wenn er auch bei einer Einigung Blau-Schwarz bzw. einen Kanzler Kickl ablehnen würde, würde es zu einer echten Pattsituation kommen. Wobei die vergangenen Wochen darauf schließen lassen, dass sich Kickl eine solche nur wünschen könnte. Der Wählerzuspruch zu ihm würde weiter steigen. Zuletzt ist er schon 40 Prozent nahegekommen.

Umso wichtiger ist, dass er sich nun darauf konzentriert, was geht: Nach bestem Wissen und Gewissen werde er darauf achten, dass Grundpfeiler unserer Demokratie respektiert bleiben, kündigte er am 5. Jänner an und nannte beispielhaft Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschenrechte, Minderheitenrechte, freie und unabhängige Medien sowie die EU-Mitgliedschaft.

Das sind nicht nur fromme Wünsche. Van der Bellen wird zwar nicht verhindern können, dass Kickl mit schwarzer Hilfe möglicherweise die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zerschlagen möchte. Oder den ORF. Dass er freie und unabhängige Medien durch eine Kürzung von Förderungen etwa in den Ruin treiben will. Dass er gegen die EU herziehen wird.

Er kann zum einen aber ein öffentliches Bewusstsein dafür schaffen, worauf es ankommt. Dadurch stärkt er Teile der Gesellschaft, die erreichbar sind dafür. Außerdem kann er von Kickl und Stocker eine Erklärung zu den Grundpfeilern der Demokratie verlangen, damit sie wenigstens ihr Wort geben müssen.

Vor allem aber kann er Einfluss auf heikle Personalentscheidungen nehmen: Er kann zum Beispiel darauf bestehen, dass es eine unabhängige Justizministerin, einen unabhängigen Justizminister gibt. Er muss im Übrigen niemanden für das Medienministerium etwa akzeptieren, der bekannt dafür ist, Journalismus die Existenzgrundlage entziehen zu wollen. Derlei hat sogar Thomas Klestil im Jahr 2000 geschafft: Schwarz-Blau hat er zwar nicht verhindern können, Hilmar Kabas (FPÖ) aber als Verteidigungs- und Thomas Prinzhorn (FPÖ) als Finanzminister.

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