ANALYSE. Sebastian Kurz und die ÖVP entrücken die Ermittlungen zu einem politisch motivierten Kampf gegen ihn. Das lässt noch Schlimmeres befürchten.
Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler ist sozusagen unfreiwillig Teil einer türkisen Wählermobilisierungstour geworden: Freitag begleitete er Bundeskanzler Sebastian Kurz und Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (beide ÖVP) bei ein paar Ortsterminen in der Steiermark, bei denen es vorgeblich darum ging, sich von der Lockerung von Corona-Beschränkungen zu überzeugen; in Wirklichkeit waren natürlich Bilder davon entscheidend, die die Menschen in Österreich wenig später erreichen sollten.
Und Worte: Sebastian Kurz kam nicht umhin, sich zur Causa prima zu äußern. Er lehne „diese Anzeigenkultur“ ab, ließ er wissen, er sei einst doch nur in den Ibiza-U-Ausschuss gegangen, um wahrheitsgemäß auszusagen. Schützenhöfer eilte ihm nicht nur zur Hilfe, er setzte noch eins drauf: Was hier abgehe, sei eine „Menschenhatz der Sonderklasse“. Soll heißen: Kurz ist nicht einfach nur Opfer; sondern auch noch eines einer ganz üblen, um nicht zu sagen niederträchtigen Partie.
Diese Darstellungen sind für gewöhnliche Menschen wohl etwas eigenartig: Oder spricht zum Beispiel von „Menschenhatz“, wer es mit der Justiz zu tun bekommt? Wenn er das tut, dann nährt er einen Verdacht: Wer in einem demokratischen Rechtsstaat so dick aufträgt, verfolgt bestimmte Absichten. Zunächst will er die Sache vernebeln, um die es geht. Und letztlich will er den schlimmsten Ausgang, der für ihn denkbar ist, relativieren; es soll ihm demnach nur Unrecht getan worden sein.
Wie die Sache beim Kanzler ausgeht, ist offen. Was absurd ist, ist jedoch seine Rede von einer „Anzeigenkultur“: Würde es viele haltlose Anzeige gegen Kurz geben, würden sich diejenigen diskreditieren, die sie einbringen. An der gegenständlichen Anzeige war wiederum so viel dran, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht nur einfach so Ermittlungen wegen möglicher Falschaussagen vor dem Ibiza-U-Ausschuss aufgenommen hat, sondern diesen Schritt auch sehr ausführlich, auf 58 Seiten, begründet hat (nachlesbar z.B. hier auf der „profil“-Website).
Das hat weder mit Menschenhatz noch mit Anzeigenkultur zu tun. Kurz selbst hat das ja im Grunde genommen schon mit SMS an ÖGAB-Chef Thomas Schmid widerlegt („Kriegst eh alles, was du willst“ etc.). Aber das ist eben der Punkt: Es geht dem Bundeskanzler dieser Republik um etwas ganz anderes.
In der Welt des Populisten zählt ausschließlich die öffentliche Meinung, die er im Falle des Falles gerne auch über Neuwahlen zum Ausdruck bringen lässt: Es lässt tief blicken, dass er und seine Leute gerade jetzt „immer öfter mit dem Volkswillen argumentieren“, wie „Falter“-Redakteurin Eva Konzett auf Twitter feststellt.
Was auffällt: Die #ÖVP argumentiert immer öfters mit dem Volkswillen, dem Wahlergebnis. Das ist ein klassischer populistischer Spin: Die Institutionen sind gegen uns, aber das Volk ist mit uns.
— Eva Konzett (@EvaKonzett) May 12, 2021
Das war schon in der Pandemie-Bekämpfung so: Wichtig ist nicht, was Juristen oder Mediziner sagen, sondern was politisch notwendig erscheint und am Ende des Tages bei einer Mehrheit auch gut ankommt. Widersprüche werden von Kurz damit aufgelöst, dass er Experten als „falsche Experten“ abqualifiziert. So einfach geht das, wenn man keinen Genierer hat.
Jetzt ist vollkommen egal, zu welchem Ergebnis die Ermittlungen führen. Es könnte sogar zu einer Verurteilung kommen, es wäre vorgesorgt: Kurz wäre nicht nur Opfer der Justiz, sondern vor allem auch politischer Gegner, die ihn stürzen wollen. „Das Ziel von all dem ist, Kurz muss weg“, sagte Kurz selbst am Mittwochabend in der ZIB2: Das war ein Signal an die Anhänger. Ist doch klar, dass sie sich so etwas nicht gefallen lassen dürfen.
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