Schlicht Demokratie

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ANALYSE. Österreich steckt nicht in einer Staatskrise. Und wenn eine Mehrheit der im Parlament vertretenen Abgeordneten dem Kanzler das Vertrauen entzieht, ist das auch kein Drama.

These: Die Realverfassung macht vieles schwerer, als es ohnehin schon ist. Begründung: Sie unterstellt beispielsweise, dass der Kanzler der mächtigste Mann der Politik ist. Und zwar insofern, als er sich Minister genauso hält wie ein Parlament. Das wäre jedenfalls eine Erklärung dafür, dass es eher als Grenzüberschreitung gilt, wenn der Nationalrat dem Regierungschef das Vertrauen entzieht. Selbst das Nachrichtenmagazin „profil“, das für Qualität steht, schrieb in einem solchen Fall, nämlich am 28. Mai 2019, dass das damalige Kabinett von Sebastian Kurz „gestürzt“ worden sei. Das ist ein problematischer Begriff: Von Sturz ist es nicht weit zu Putsch, in der Regel also zu einer Entfernung durch Waffengewalt.

Sehr wahrscheinlich wäre alles anders, wenn der Nationalrat als das gesehen werden würde, was er ist: Das Zentrum der Politik, neben dem direkt gewählten Bundespräsidenten verfügt er durch die eigene Wahl (Nationalratswahl) über die größte Legitimation. Die Regierung ist ihm und dem Bundespräsidenten verpflichtet. Ganz einfach: Der Bundespräsident kann sie entlassen, der Nationalrat kann sie (oder einzelne) Mitglieder per Mehrheitsbeschluss mit einem Misstrauensvotum belegen, was auf dasselbe hinausläuft. In beiden Fällen ist es, man muss es wiederholen, demokratisch legitimiert.

Stand heute wird in wenigen Tagen Sebastian Kurz durch eine Mehrheit des Nationalrats abgewählt werden. Die übrigen ÖVP-Mitglieder seines Kabinetts haben bereits angedeutet, dass sie dann zurücktreten werden, womit sie erklären, dass sie sich eher ihm als der Verfassung verpflichtet fühlen. Auch eine Botschaft.

Und dann? Gibt es eine Kraftprobe: Die ÖVP kann pokern, und Sebastian Kurz als Parteichef belassen. Wahrscheinlich wird sie damit jedoch verlieren: Wenn sie bei Neuwahlen die ÖVP schon nicht vom ersten Platz verdrängen können, dann können SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos nur damit gewinnen, eine Koalition mit Kurz auszuschließen und hart zu bleiben. Zu viel belastendes Material liegt jetzt vor.

Ja, es läuft auf Neuwahlen hinaus: Übergangskonstruktionen bei einem ÖVP-Obmann Kurz in Oppositionen bzw. eine Expertenregierung, die sich auf eine rot-blau-grün-pinke Mehrheit stützt, sind allenfalls Notlösungen. Veränderungen im Sinne des Klimaschutzes sind damit nicht möglich; Pandemiebekämpfung schon gar nicht (Kickl!); an Europapolitik und vieles andere mehr ist ebenfalls nicht zu denken.

Letztlich wird die ÖVP wohl nachgeben und sich einen neuen Obmann geben müssen, der nicht von allen anderen abgelehnt wird. Nur dann jedenfalls würde sie wieder eine Chance bekommen, Teil einer Regierung zu werden. Sonst nicht, auch wenn sie Nummer eins bleiben sollte. Doch auch das wäre kein Drama, sondern Demokratie. 2000 bis 2002 saß mit der SPÖ schon einmal eine stärkste Partei auf der Oppositionsbank.

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