ANALYSE. Der Kanzler hat ein Programm angekündigt, also muss es auf Biegen und Brechen umgesetzt werden. Nach und nach zeigt sich, dass der Schaden am Ende überwiegen könnte.
dieSubstanz.at kann nicht beurteilen, ob Massentests vernünftig sind. Man kann sich nur wundern darüber, wie sie zustande gekommen sind; und erfassen, welche Risiken und Warnungen es in diesem Zusammenhang gibt. Allein das lässt daran zweifeln, dass es sich um eine wirklich vernünftige Sache handelt.
Zunächst einmal hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Massentests keine 24 Stunden nach der großen Pressekonferenz zur Verkündung des harten Lockdowns in einer ORF-Pressestunde in Aussicht gestellt. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) war überrascht worden, wie etwa die „Wiener Zeitung“ berichtete.
Das ist seltsam: Der Gesundheitsminister ist ganz offensichtlich nicht Herr des „gesundheitlichen“ Krisenmanagements. Wie auch immer: Nachdem Kurz von den Massentests gesprochen hat, müssen sie sein. Mehr und mehr zeigt sich jedoch, dass er hier einfach nur eine Aktion setzen wollte, ohne einen großen Plan zu haben.
In den „Vorarlberger Nachrichten“ sagt der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger über ein Regierungspapier zu den Massentests: „Die Unterlagen zeugen von keiner großen Detailkenntnis der Behördenorganisation.“ Das gehe so weit, dass von Bezirksschulbehörden die Rede sei. Allein: „Diese sind vor Jahren abgeschafft worden.“ Man könnte es auch so formulieren: Schnell, schnell scheint hier jemand ein sehr heikles Vorhaben präzisiert zu haben, ohne den Staat zu kennen.
Massentests sind keine Garantie dafür, dass man die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zurückerobern kann. Siehe Luxemburg. Das kleine Land weist mit 23. November exakt 1279 neue Fälle pro 100.000 Einwohner und 14 Tage aus. So hoch ist die Inzidenz sonst nirgends in Europa. Wobei man folgendes wissen sollte: Luxemburg hat schon im Frühjahr mit Massentests angefangen. Im besten Fall könnte man aus dortigen Fehlern lernen.
Der Kanzler betont, nicht auf „falsche“ Experten zu setzen. Sehr wahrscheinlich zählt auch die Führung der „Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin“ (OEGIT) dazu. Sie hat in einer Stellungnahme vom 4. Oktober folgende Überzeugungen kundgetan:
- „Statt ungezielter Massentestungen sollten Screenings auf Risikogruppen beschränkt werden, um die Vortestwahrscheinlichkeit zu erhöhen (also Personen mit COVID-typischer Symptomatik und vorangegangener Exposition) bzw. situationsbedingt auf besonders vulnerable Bereiche wie beispielsweise Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen.“
- „Das unsystematische, unreflektierte, großflächige Testen sowie das Screenen im Tourismusbereich oder anderen Bereichen des Gesellschaftslebens (hauptsächlich gesunde und symptomlose Personen) ist kein geeignetes Mittel, um eine präzise Information zur epidemiologischen Situation zu erhalten bzw. um die Pandemie einzudämmen. Ein positiver SARS-CoV-2 PCR Befund bei einer symptomfreien Person stellt noch keine Infektionsdiagnose dar und sagt nichts über die Infektiosität der getesteten Person aus (Überbleibsel „viral debris“ einer abgelaufenen Infektion). Zudem ist bei einer Stichprobe, die fast nur aus gesunden Personen besteht, die Wahrscheinlichkeit für falsche Testergebnisse sehr hoch.“
- „Testen ohne Anlass führt auch zu einem falschen Sicherheitsgefühl. Denn auch ein negativer PCR-Nachweis ist nur eine Momentaufnahme, schließt eine Infektion nicht aus und entbindet nicht von Hygiene- und Schutzmaßnahmen (AHA-Regel).“
- „Präventives Testen ohne begründeten Verdacht belastet die vorhandene Testkapazität und verzögert die Identifizierung von wirklich erkrankten Personen.“
Der letzte Punkt ist ein besonders heikler: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat Bund und Länder Anfang November öffentlich aufgefordert, endlich für ordentliche Kapazitäten zum Testen und Kontaktnachverfolgungen zu sorgen. Zumindest öffentlich gab es keine Antwort darauf. Stattdessen läuft nun eben das Massentest-Programm, das aufgrund der vorhandenen Mängel geradezu verhängnisvoll werden könnte: Laut Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) werde es aufgrund fehlender Kapazitäten nicht möglich sein, bei allen positiv Getesteten „umfassendes Contact-Tracing“ zu betreiben.
Zusammengefasst: Massen, die im Dezember negativ getestet werden, könnten sich in falscher Sicherheit wiegen und sorglose Weihnachten sowie Silvester mit Kontaktpersonen feiern, die gar nicht wissen, dass sie eigentlich „abgesondert“ sein müssten (um dieses Unwort hier auch noch unterzubringen).
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