Neutralisiert

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ANALYSE. In der Budgetmisere wird zum ersten Mal ein Konstruktionsfehler sichtbar, den es bei der neuen Regierung gibt.

Es ist kaum zu glauben, dass es nicht viel mehr als ein halbes Jahr her ist, dass der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklärt hat, es brauche kein Sparpaket, man werde das Budget „durch mehr Wirtschaftswachstum“ sanieren. Als könne man ein solches auf Knopfdruck herbeiführen. Wobei: Eine Leserin schreibt zurecht, warum das zu viele Medien damals trotzdem einfach so transportiert haben.

Heute weiß man, dass nicht einmal ein 6,4-Milliarden-Euro-Konsolidierungspaket allein für heuer ausreichen wird. Dass gut die doppelte Summe erforderlich wäre, man sich aber geschlagen gibt und es auf ein EU-Defizitverfahren hinauslaufen lässt. Was man zum einen damit begründen kann, dass es in Zeiten einer Rezession zu einer noch größeren Rezession kommen könnte, wenn man massive Kürzungen vornimmt. Zum anderen entspricht es aber auch Interessen von ÖVP und SPÖ: Sie wollen oder können nicht so viel mehr tun.

Sie haben sich in Budgetfragen gegenseitig neutralisiert: Die ÖVP hat durchgesetzt, dass keine Vermögens- bzw. Erbschaftssteuer kommt, die der SPÖ wichtig wäre. „Dafür“ hat die SPÖ erreicht, dass die Lohnnebenkostensenkung ausbleiben wird, die der ÖVP wichtig wäre: Eine solche steht zwar im Regierungsprogramm, aber mit sogenanntem „Budgetvorbehalt“, was aufgrund der Lage bedeutet, dass sie nicht kommen wird.

De facto entspricht das einer Umkehrung des Prinzips „Das Beste aus beiden Welten“. Und genau nicht einem „Kompromiss“, wie er in diesen Tagen und Wochen so gerne behauptet wird. Wäre es ein solcher, hätten sich ÖVP und SPÖ auf eine Lösung verständigt, die sie in Bezug auf ihre jeweiligen Anliegen wenigstens ein bisschen befriedigt. Aber nicht so gar nicht.

Die ehemaligen Großparteien riskieren damit viel: Mit jeder Ausweitung von Konsolidierungspaketen wird der Druck für die SPÖ von Vizekanzler Andreas Babler steigen, jetzt doch etwas in Bezug auf Vermögens- bzw. Erbschaftssteuern zu verlangen. Bisher konnte sie das einigermaßen vermeiden; ist allenfalls die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags für Pensionisten etwas, was dazu angetan ist, ihre Klientel stutzig zu machen: „Babler hat doch gesagt, dass ausschließlich „starke Schultern“ belastet werden sollen – aber jetzt müssen wir ran.“

Die ÖVP von Kanzler Christian Stocker steht überhaupt vor einem Scherbenhaufen: Sie hat das Finanzministerium schon auch abgeben müssen, weil sie mit ihren Ressortchefs und ihrer Weigerung bis zuletzt, die wahre Budgetlage einzugestehen, zur gegenwärtigen Misere beigetragen hat. Sie muss jetzt im Übrigen hinnehmen, dass die Entlastungen, die sie „Leistungsträgern“, aber auch Unternehmen seit Jahren verspricht, unmöglicher denn je sind.

Von Nationalratswahl zu Nationalratswahl hat die ÖVP eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote „Richtung 40 Prozent“ versprochen. In Wirklichkeit ist laut Nationalbank jedoch das passiert: Die Quote sei „von 2017 auf 2024 von ca. 43 Prozent auf ca. 45 Prozent gestiegen“. Ja: „Letzterer Wert liegt nur geringfügig unter den historischen Höchstwerten des Zeitraums um die Jahrtausendwende.“

Hintergrund ist laut Nationalbank unter anderem ein starker Anstieg der Lohnquote in den vergangenen Jahren: „Löhne werden grundsätzlich höher besteuert als Unternehmensgewinne; somit steigt durch einen höheren Anteil der Lohneinkommen am BIP auch automatisch der Anteil der Abgaben am BIP.“

Das würde eigentlich nach einer Systemreform schreien. Auf eine solche aber haben sich die Regierungsparteien eben nicht verständigen können.

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