ANALYSE. Selbst bei der Notlage der „Wien Energie“ regiert Parteipolitik. Schon in der Pandemie und gleich nach Beginn des Ukraine-Krieges ist das aufgefallen: Es gibt keine Hemmungen, der Preis ist hoch.
Selten, aber doch, würde man glauben, dass es in der Politik jetzt aber wirklich um die Sache geht und alles andere in den Hintergrund gestellt wird; die eigene Befindlichkeit genauso wie die der Partei. Es ist jedoch naiv. In der Pandemie ist das bald einmal klar geworden. Oder nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Kein Trost ist, dass sich das rächt. In der Pandemie führten Einführung- und Dann-doch-nicht-Umsetzung der Impfpflicht zu einem massiven Vertrauensverlust. Und was den Krieg betrifft, hatte sich getäuscht, wer eine offene Auseinandersetzung über sicherheits- und verteidigungspolitische Optionen für das neutrale Österreich erwartet hatte unter den geänderten Umständen. Abgesehen davon gibt es nicht einmal eingehende wie breite Überzeugungsarbeit für die Sanktionen. Grund: Das ist zu unpopulär. Ergebnis: Nur eine knappe Mehrheit der Bevölkerung steht hinter den Sanktionen. Im Winter, wenn vieles schwierig(er) wird, könnte die Stimmung vollends kippen dagegen.
Und dann dieser Sonntag: Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) selbst gab sich anlässlich eines Energiegipfels staatsmännisch und forderte eine europäische Stromlösung. Man müsse diesen Irrsinn, der sich derzeit auf den Märkten abspiele, endlich stoppen, betonte er. In Wirklichkeit widmete sich der Gipfel der „finanziellen Notlage“, in die die „Wien Energie“ geraten ist. Das wurde jedoch erst spätabends durch namentlich nicht genannte Sitzungsteilnehmer in ein paar Medien bekannt. Es folgte einem Spin, wonach sich ein paar Sozialdemokraten wie in der Bawag-Affäre verspekuliert hätten. Details? Wenige. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bestätigte in einem ZIB2-Interivew, dass es Schwierigkeiten und ein Ersuchen um finanzielle Hilfe gebe. Tags darauf wurde er konkreter und teilte in einer Aussendung mit: „Von (Wiens) Finanzstadtrat (Peter) Hanke wurde der akute Finanzierungsbedarf der Stadt zur Weiterreichung an die Wiener Stadtwerke GmbH bzw. die Wien Energie Gmbh in einem Brief mit 6 Milliarden Euro beziffert.“ Die Stadt habe bereits Milliardenbeträge an Sicherheiten für ihren Energieversorger übernommen, ihre Spielräume seien nun jedoch erschöpft.
Auf der anderen Seite: Wien Energie wies am Sonntagabend lediglich Berichte zurück, insolvent oder pleite zu sein. Es gehe um Sicherheitsleistungen, die man für den Handel an Energiebörsen benötige, die man aufgrund der extrem strak gestiegenen Preise aber nicht mehr aufbringen könne. Vertreter der Stadt, wie Peter Hanke, geschweige denn Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), hüllten sich in Schweigen.
Dazu führt Politik, die sich selbst am Nächsten ist, Notwendiges scheut und daher ausschließlich mit der Hoffnung durch eine Krise nach der anderen geht, dass es schon irgendwie gutgehen werde. Sie ist nicht einmal zu „proaktiver“ Kommunikation fähig, wie man so sagt: Ludwig, der hier an der Spitze einer Verantwortungspyramide steht, hat es verabsäumt, das Unvermeidliche selbst in die Hand zu nehmen; nämlich, dass das Ganze öffentlich wird. Jetzt ist er ein Getriebener, der sich noch dazu fragen lassen muss, warum die bisherigen Milliardenbeträge an Sicherheiten für den Energieversorger geheim gehalten wurde. Ist ja immerhin Steuergeld.
Wahrscheinlich läuft es nun auf einen Kredit in Milliardenhöhe hinaus (über die Bundesfinanzierungsagentur) – sowie die Darstellung, dass der Bund Wien gerettet habe, obwohl man dort nicht wirtschaften könne, die Versorgungssicherheit für hunderttausende Haushalte jedoch entscheidend sei. Das wäre nicht ganz falsch, macht aus der Stadt Wien nun aber einen hilfsbedürftigen Dankschuldigen.
Der Wirklichkeit ist – wie immer – komplizierter: Wien Energie braucht für die Haushalte nicht nur viel teures Gas, das Unternehmen, das über die Stadtwerke zu 100 Prozent der Stadt gehört, muss auch sehr viel teuren Strom zukaufen. Umso bemerkenswerter ist, dass in Österreich bisher nicht geschaffen wurde, was in Deutschland bereits vor dem Sommer fixiert wurde: Ein Rettungsschirm für Unternehmen, die an Terminbörsen mit Strom und Gas handeln und auch bei weiteren Preissteigerungen Zugang zu ausreichender Liquidität benötigen. Darauf angewiesen ist etwa der stark gasabhängige Energiekonzern Uniper. Das hätte auch hierzulande wahrgenommen werden können. Im Wiener Rathaus, oder in der Bundesregierung.