ANALYSE. Das eine Mal fordern Kanzler und Vize Abschlüsse klar über der Inflation, das andere Mal sagt der Verkehrsminister, dass derlei für den Finanzminister zum Streiken wäre. Eine Linie? Nein, ein Widerspruch.
Ob der Warnstreik der Eisenbahner gerechtfertigt ist, lässt sich an dieser Stelle genauso wenig beurteilen wie die Frage, ob das Arbeitgeberangebot zumutbar ist. Doch darum geht es hier auch gar nicht: Entscheidend ist dieser Sowohl-als-auch-Populismus, der die Lohnrunden in diesem Herbst von politischer Seite her begleitet. Im September haben Kanzler und Vize in einem ziemlich einzigartigen Akt zu spürbaren Erhöhungen aufgerufen; und jetzt empört sich der Verkehrsminister, dass sich die Eisenbahner mit einem Arbeitgeberangebot nicht zufrieden geben. Das ist ein Widerspruch.
Vielleicht haben Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) vor zwei Monaten ja nur eine Story liefern wollen, die den damaligen Rückzug von SPÖ-Chef Christian Kern überlagert. Es waren jedenfalls die beiden Top-Meldungen an jenem Samstag, den 22. September. Wie auch immer: Während Kern definitiv weg ist, ist der Appell von Kurz und Strache geblieben: Sie teilten den Sozialpartnern mit, dass „sich in den Gehaltsabschlüssen die positive Entwicklung im Land und die gute Stimmung für die Wirtschaft und den Standort spürbar wiederfinden sollen“.
Gefragt sind laut Kanzler und Vize Gehaltsabschlüsse „klar über der Inflation“.
Konkret wurden Kanzler und Vize nicht. Sie fügten ihrem Appell jedoch einen bemerkenswerten Hinweis hinzu: Gefragt seien Gehaltsabschlüsse „klar über der Inflation“. Zumal die Reallöhne in den vergangenen Jahren meist zurückgegangen seien.
Was die Regierungsspitze da betrieben hat, war eine gewisse Grenzüberschreitung: Es sollte wohl den Sozialpartnern vorbehalten bleiben, um Lohnabschlüsse zu ringen. Zumal sie am besten beurteilen können, was in ihrer Branche möglich und letzten Endes auch vertretbar ist.
Einzig Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) hindert das nicht daran, heute zur nächsten, der entgegengesetzten Grenzüberschreitung zu schreiten: Die Eisenbahner halten sich an den Appell von Kurz und Strache – und das passt Hofer auch wieder nicht: In einer Aussendung lässt er im Sinne der ÖBB-Führung wissen, dass „das Angebot, das auf dem Tisch liegt, mehr als fair ist und auch die Wertschätzung der Arbeitgeberseite für die hervorragende Arbeiter der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zum Ausdruck bringt“.
Hofer meint, die angebotene Gehaltserhöhung wäre für den Finanzminsiter ein Grund zum Streiken.
Laut Hofer würde die angebotene Gehaltserhöhung die ÖBB rund 80 Millionen Euro kosten: „Der einzige, der einen Grund zum Streiken hätte, ist der Finanzminister. Ich habe den Eindruck, dass hier eine Seite in den Verhandlungen auf dem Fußballfeld steht, aber Rugby spielt.“
Das zeigt, wohin alltäglicher bzw. willkürlicher Populismus führen kann. Im einen Fall drängen Kanzler und Vize Unternehmen, spürbare Lohnerhöhungen einzugehen, im anderen sagt der Verkehrsminister, eine solche sei dem Finanzminister nicht zumutbar. Das ist widersprüchlich und macht Politik ganz und gar unglaubwürdig.
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