Kurz steht sich selbst im Weg

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ANALYSE. Affären und sinkende Umfragewerte lassen den Kanzler hyperaktiv werden. Womit der Schaden für ihn nur noch größer wird.

Um den russischen „Sputnik V“-Impfstoff ist es sehr ruhig geworden am Ballhausplatz. Vor drei Wochen noch hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eigens Journalistinnen und Journalisten zu sich geladen, um zu verkünden, dass Vertragsverhandlungen über die Lieferung von einer Million Dosen für Österreich „de facto am Ende angelangt“ seien. Damit hatte er im Grunde genommen nur bestätigt, was er in den Tagen zuvor ohnehin schon mehrfach in Aussicht gestellt hatte: Er (und nicht der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Grüne) bemüht sich selbst darum; also scheint auch etwas zu werden daraus.

In Wirklichkeit ist bisher nichts daraus geworden. Aber das lässt der Kanzler untergehen. Zu seinem Glück liefert Biontech/Pfizer bis zum Sommer der gesamten EU wesentlich mehr als ursprünglich angekündigt, was allein der türkisen „Message“ zufolge ebenfalls Kurz zu verdanken sein soll, jedoch einen viel plausibleren Grund hat: Produktionskapazitäten konnten endlich ausgeweitet werden.

Seit Wochen versucht der Kanzler mehr und mehr, in eigener Sache Schlagzeilen zu liefern. Das ist kein Zufall: Seine Umfragewerte sinken. Aus zwei Gründen: Wie etwa auch Angela Merkel in Deutschland macht ihm die Dauer der Krise zu schaffen. In seinem Fall kommt hinzu, dass er schon im Juni des vergangenen Jahres via Facebook verkündete, dass die Pandemie zu Ende sei. Umso größer war der Frust wohl auch unter seinen Fans, dass es mit einer zweiten und einer dritten Welle noch viel schlimmer kam. Das verkehrte auch die Wirkung internationaler Vergleiche, die Kurz zunächst noch gerne angestellt hatte; plötzlich war offensichtlich, dass Österreich doch nicht besser als alle anderen durch die Krise kommt.

Vor allem aber setzen Kurz all die Affären zu. Der Postenschacher mit Thomas Schmid und z.B. seine ausdrückliche Aufforderung an diesen, einem Kirchenvertreter „Vollgas“ zu geben, enttäuschten Hoffnungen, die er einst selbst befördert hatte. Von wegen Leistung, Wertschätzung etc.

Die Antwort des Kanzlers ist Hyperaktivität. Ziel: Was war oder ist, vergessen machen und eine andere Erzählung drüberlegen. Dass die EU und ein Beamter allein auf einem „Basar“ Impfstoff zum Nachteil von Österreich verteilt hätten, beispielsweise. Abgesehen davon, dass dieser Beamte nun in einem Parlamentsausschuss widersprach, Kurz sei sehr wohl eingebunden gewesen (womit Aussage gegen Aussage steht), blamierte sich dieser in den ersten Monaten dieses Jahres auch in Brüssel. Das dort produzierte Onlinemedium „Politico“ titelte: „Sebastian Kurz: From political wunderkind to rogue operator.“ Rogue (Substantiv) heißt übersetzt Schelm, Schurke, Gauner.

Das war ziemlich genau zu der Zeit, in der sich der Kanzler um „Sputnik V“ bemühte. Er hätte es wohl besser von vornherein Leuten überlassen, die etwas verstehen davon. Die Qualität des Impfstoffs sollte schon allein aufgrund der niedrigen Impfbereitschaft in Österreich von unabhängigen Stellen überprüft werden. Zumal eine (Des-)Informationsschlacht darum tobt, bei der man als Laie nicht beurteilen kann, wie viel Macht- und Propagandainteressen dahinter stecken.

Sebastian Kurz ist jedoch schon beim nächsten Thema: Er will „Vorreiter“ beim Grünen Pass sein, ehe ein langsames Europa dann irgendwann folgen soll. Wieder ein Versuch, Österreich in Poleposition dazustellen. Dabei ist das Rennen gelaufen: Italien bereitet ein grünes Zerifikat vor, Griechenland akzeptiert bei der Einreise ins Land bereits einen Impfnachweis. Da könnte man sich ruhig ein bisschen zurücknehmen und statt Pressekonferenzen zu geben, schwierige Sachfragen lösen: Wie soll der Pass funktionieren, wie soll der Datenschutz gewährleistet sein etc.?

Der Kanzler verspricht zudem weiter ein Licht am Ende des Tunnels und Normalität ab dem Sommer. Damit riskiert er wieder Enttäuschungen: Normalität heißt ein Leben wie früher, wie vor Corona. Für zu viele Menschen kann es das aufgrund von Langzeitfolgen von Erkrankungen oder sogenannter Kollateralschäden (wie Arbeitslosigkeit), die erst in ein paar Jahren einigermaßen behoben sein werden, nicht geben. Im Übrigen wird es eher nur ein Leben mit Corona geben. Der Schweizer Gesundheitsminister Alain Berset hat gerade kommuniziert, dass es in seinem Land bei allenfalls möglichen Großveranstaltungen ab Herbst wohl eine Maskenpflicht geben werde. Da sollte man sich nichts vormachen – und sich darüber freuen, wenn es letztlich doch nicht nötig sein sollte.

Und so weiter und so fort: Dem Stabilitätsprogramm, das Österreich gerade nach Brüssel geschickt hat, ist zu entnehmen, dass es nach Überwindung der Wirtschaftskrise an strukturelle Fragen wie die Pensionskosten gehen werde. Sofern das ernst gemeint ist, könnte es weniger populär werden. Soll heißen: Zumal ohnehin erst 2024 gewählt werden muss, ist es absurd, wie sehr das Tun von Sebastian Kurz auf die Rettung gegenwärtiger Persönlichkeitswerte ausgerichtet ist; das ist nicht auf Dauer ausgelegt.

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