BERICHT. Wie können Regierende dazu gebracht werden, langfristigen Herausforderungen gerecht zu werden? Aus der Parlamentsdirektion kommt eine spannende Abhandlung dazu.
Die Tendenz zum politischen Präsentismus hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Das bedeutet, dass Handlungen auf den kurzfristigen Erfolg, auf das Hier und Jetzt ausgerichtet sind. Wenn’s in einer Krise brennt, ist das vielleicht noch nachvollziehbar; dann ist ein Feuerwehreinsatz naheliegend. Das Problem ist, dass dieser Präsentismus durch zwei Dinge verstärkt wird. Zum einen ist das Populismus, wie er nicht nur von Freiheitlichen betrieben wird, sondern in den vergangenen Jahren etwa auch von Türkisen. Hier geht es ausschließlich darum, Stimmungslagen gerecht zu werden und sie in schnelle Wahlerfolge umzumünzen.
Zum andern ist es ein Phänomen, das mit dem Niedergang der alten Großparteien zusammenhängt: Karl Nehammer zum Beispiel ging es als ÖVP-Chef nicht um schnelle Wahlerfolge, sondern darum, größere Niederlagen zu verhindern. Das hat in seinem Fall dazu beigetragen, dass er mehr und mehr von einem Politikfeld abrückte, das ganz besonders auf Langfristigkeit ausgerichtet ist: Klimawandel.
Wie kommt man da raus? Die Frage ist nicht nur im Hinblick auf den Klimawandel relevant, sondern auch auf Pensionen, Pflege, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur etwa. Der wissenschaftliche Dienst des Parlaments hat eine spannende Abhandlung dazu vorgelegt, wie zukunftsorientierte Ansätze gefördert werden könnten. Da hapert es nicht nur in Österreich: „Das Spannungsverhältnis zwischen kurzfristigem Handeln und langfristigen Konsequenzen spiegelt sich weltweit in politischen Entscheidungsprozessen wider“, wird darin betont.
Als Beispiel für einen zukunftsweisenden Ansatz wird sogenanntes Kathedralendenken bezeichnet. Dieses Denken beziehe „sich auf die Praxis von Kathedralenbauenden, die mit dem Bau begannen, obwohl sie wussten, dass sie dessen Fertigstellung wahrscheinlich nicht mehr erleben würden“. Mit Blick auf heutige politische Projekte bedeute dies eine langfristige Vision, die eine Zukunft gestaltet, die über kurzfristige Ziele und Gewinne hinausgeht und kommende Generationen berücksichtigt.
Die Frage ist halt, wie Kathedralendenken in politische Prozesse einfließen kann. Wie können Populisten dazu gebracht werden, es sich anzueignen oder Regierende, es zu tun, die von der Angst vor noch größeren Stimmenverlusten getrieben sind? Der wissenschaftliche Dienst des Parlaments erwähnt einen Ansatz, den es in Finnland gibt: Dort gibt es einen parlamentarischen Zukunftsausschuss. Das ist eine Art Thinktank, der sich wissenschaftlich fundiert langfristigen Herausforderungen widmet und der dazu auch einen Dialog mit der Regierung betreibt, die ihrerseits zumindest einmal innerhalb einer Legislaturperiode einen eigenen Zukunftsbericht vorlegen muss.
Natürlich: Das ist keine Garantie dafür, dass politischer Präsentismus verschwindet. Es ist aber ein Beitrag, Kathedralendenken zu fördern. Anders ausgedrückt: Die Regierung und das Parlament müssen sich wenigstens Zukunftsfragen stellen – das macht es ungleich schwieriger, sie einfach zu ignorieren.