ANALYSE. Aus dem Tagebuch einer Koalition: Obwohl Anschober auch von der ÖVP aus der Regierung gemobbt worden ist, tut Kogler so, als wäre nichts gewesen. Ergebnis: Alles bleibt wie es ist.
In der ZIB2 wurde Vizekanzler Werner Kogler am Dienstagabend mit der Feststellung des Politikberaters Thomas Hofer konfrontiert, dass es in der türkis-grünen Koalition ein Hauen und Stecken gebe wie in den schlimmsten Zeiten von Rot-Schwarz. Koglers Antwort wurde in weiterer Folge auf ORF.AT so zusammengefasst: Die Zusammenarbeit sei gut. Im Detail hat der Grünen-Chef ausgeführt, dass sie das sogar in „allen“ Bereichen sei, auch wenn es bisweilen Differenzen bzw. unterschiedliche Einschätzungen gebe.
Das lässt ein Schrecken ohne Ende für diese Koalition befürchten: Nichts spricht dafür, dass die ÖVP unter Sebastian Kurz bedauert, zum Abschied von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) beigetragen zu haben. Sein politisches Ende hat sich dieser natürlich auch selbst zuzuschreiben; und der unglaublichen Größe der Herausforderungen, mit denen er in den vergangenen 15 Monaten konfrontiert war. Man muss aber auch die türkisen Beiträge sehen: Keine Rückendeckung in der Auseinandersetzung mit ÖVP-Landeshauptleuten; keine Abstimmung in grundsätzlichen Fragen und auch bei entscheidenden Botschaften („Licht am Ende des Tunnels“ etc.); sondern vielmehr eine parallel agierende Gesundheitspolitik im Kanzleramt, wie sie sich etwa bei der Impfkampagne bis hin zu den eigenständigen Bemühungen um „Sputnik V“-Lieferungen aus Russland äußert.
Das Verhalten der ÖVP hat nichts mit der Person von Rudolf Anschober zu tun. Es zeugt vielmehr ganz grundsätzlich von Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Koalitionspartner. Das ist auch so, wenn es um die Abschiebung von Flüchtlingen oder die Nicht-Aufnahme von Kindern aus Griechenland geht; oder um Angriffe auf Medien oder die Justiz. Das sind lauter Dinge, die die Grünen substanziell treffen: Viele Anhängerinnen und Anhänger haben sie nicht gewählt, um bloße Mehrheitsbeschaffer für eine solche Politik zu stärken; im Gegenteil.
Umgekehrt sollte man den Widerstand, den Kogler und Co. immer wieder leisten, nicht übersehen: Als Vertreter der zuletzt karenzierten Justizministerin Alma Zadic hat sich Kogler persönlich vor die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gestellt. Zadic deutet wiederum an, die Unerträglichkeit zu sehen, die mit einer geplanten Novelle der Strafprozessordnung einhergeht; laut dem Verfassungsjuristen Heinz Mayer könnte Korruptionsbekämpfung im staatlichen Bereich ausgehebelt werden. Die Ministerin hat nun zumindest versprochen, das zu überarbeiten.
Zum einen sind die Grünen in der Koalition aber eher nur mit der Abwehr von – aus ihrer Sicht – viel Schlimmerem beschäftigt; oder, wie nun eben durch Kogler in der „ZIB 2“, mit dem Schönreden einer sichtlich schlechten Zusammenarbeit. Anders ausgedrückt: Kurz lässt respektlos mit ihnen umgehen; und sie lassen sich bisweilen so viel gefallen, dass es einem erheblichen Teil ihrer Anhängerschaft wehtun muss.
Unter normalen Umständen müsste man eine solche Koalition nicht gleich beenden. Man würde zunächst einmal den Zustand offen ansprechen und dann vielleicht auf eine Klausur gehen. Das würde jedoch voraussetzen, dass es auf beiden Seiten eine ehrliche Bereitschaft dazu gibt, etwas zu ändern. Und das ist im konkreten Fall illusorisch: Kurz macht von seinem Selbstverständnis her keine Fehler. Und Kogler drängt nicht öffentlich auf eine Kurskorrektur, um wenigstens ein bisschen Druck auszuüben.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >