ANALYSE. Die Bundesregierung erleidet einen massiven Autoritäts- oder besser Glaubwürdigkeitsverlust. Das ist schlimm im Hinblick auf die weitere Krisenbewältigung.
Sagen wir, Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat es gut gemeint; und sagen wir, es hat auch etwas Sympathisches, dass er junge Männer so direkt angesprochen hat, wie er das am Dienstagnachmittag auf Twitter getan hat: „Reißt Euch zusammen und übernehmt auch Verantwortung!!“ Gemeint war ein Verzicht auf Strandpartys in Kroatien, bei denen eine erhöhte Infektionsgefahr besteht.
Anschobers Problem ist nur, dass ein vergleichbarer Satz aus dem Mund eines Regierungsmitglieds zu Ischgl unbekannt ist. Im Gegenteil, laut Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat es das nie gegeben. Dabei ist offensichtlich, was bei den dortigen Sauforgien passiert ist. Und das waren eher keine Jugendlichen; im extrem teuren Skiort feiern vielmehr 50-jährige Männer ab, die Karriere, aber zu wenig Party gemacht haben – das müssen sie hier nachholen.
Anschobers Problem ist im Übrigen, dass dieser Satz gewissermaßen auch eine Ergänzung zur Kurz’schen Aussage ist, dass das Virus mit dem Auto nach Österreich komme. Was wohl nicht zufällig suggerieren soll, dass es sich ausschließlich um ein ausländisches Phänomen handelt. Doch das ist Unsinn, wie man weiß: Zumindest in den vergangenen Wochen hatten 80 Prozent der bestätigten Neuinfektionen eine inländische Quelle, waren sozusagen „Made in Austria“. Das steht jedoch so ganz und gar nicht im Fokus.
Anschobers Problem ist zudem dies: Während er twitterte, junge sollten sich zusammenreißen und Verantwortung übernehmen, wird erstens bekannt, dass sein Ressort wieder einmal ein Missverständnis klären musste (wonach sich auch Kroatien-Rückkehrer ohne Symptome kostenlos testen lassen dürfen); und zweitens, dass das Familienministerium 400 Informationsschreiben zum Familienhärtefonds an die falschen Adressen geschickt hat. Normalerweise müsste man dazu anmerken, dass wir noch immer einen Ausnahmezustand haben und solche Dinge passieren können.
Hier aber provoziert es den „Rückruf“ an die Regierung, sich selbst zusammenzureißen und Verantwortung zu übernehmen; und zwar gerne mit einem respektvollen „Sie“: Bei Pannen waren laut Kurz bisher immer nur andere schuld; selbst hat man auf gut Tirolerisch „alles richtig gemacht“. Ganz zu schweigen von der haarsträubenden Qualität diverser Verordnungen: Man stelle sich vor, unter Ex-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) wäre so etwas produziert worden. Nicht auszudenken. Zumal sie nicht die Chuzpe besessen hätte, wie Kurz zu erklären, dass man juristische Fragen in Zeiten wie diesen „nicht überinterpretieren“ sollte.
Das Schlimme bei der ganzen Geschichte ist freilich dies: Die Regierung erleidet hier einen massiven Autoritäts- oder besser Glaubwürdigkeitsverlust. Wer soll sich an Aufforderungen zum Abstandhalten und allenfalls Mund-Nasen-Schutztragen halten, wenn das im Kleinwalsertal oder sonst wo nicht praktiziert wird? Wer soll das Infektionsgeschehen vor der Haustür ernst nehmen, wenn suggeriert wird, dass es nur in der Fremde gefährlich sei? Wer soll sich zusammenreißen und Verantwortung übernehmen, wenn sich die da oben mit einer solchen Beharrlichkeit zieren, es selbst zu tun, dass man fast schon meinen könnte, es stecke Absicht dahinter? Das lässt Schlimmes befürchten für Herbst und Winter, wenn sich das Leben noch mehr in geschlossene Räume verlagert und die Zahl der Erkrankungsfälle viel stärker zunehmen könnte.
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