ANALYSE. Von COFAG bis Karner – politisch motivierte Erfindungen sind eine Kampfansage an Demokratie und Rechtsstaat.
„Es scheint so, dass ein kleiner Kreis von Leuten unter sich bleiben und nicht darauf angewiesen sein will, dass Staatsbedienstete, die dem Gesetz verpflichtet sind, Einspruch gegen das eine oder andere ihrer Vorhaben einlegen oder noch etwas einfordern, was für die gesetzesgemäße Umsetzung der Pläne erforderlich ist. Viele dieser Leute empfinden die Vorgaben des Gesetzgebers als belastend, umgehen sie lieber und fühlen sich in diesem Rahmen freier.“
Gesagt hat das Wolfgang Peschorn, der Chef der Finanzprokurator, vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“. Darin ging es um die COFAG, also die Gesellschaft, die unter der türkis-grünen Regierung 2020 gegründet wurde, um Coronahilfen abzuwickeln. Peschorn ist der Meinung, dass es nicht notwendig gewesen wäre, diese Aufgabe auszulagern, sondern dass sich auch (Finanz-)Beamte darum kümmern hätten können. Mag sein.
Skeptisch machen kann, ja muss jedenfalls dies: Durch die gewählte Vorgangsweise wurde die Entscheidung über die Verwendung von Steuergeldern in zweistelliger Milliardenhöhe der unmittelbaren parlamentarischen Kontrolle entzogen; Anfragen von Abgeordneten mussten nicht beantwortet werden. Meldungen über einen Rohbericht des Rechnungshofes legen den Schluss nahe, dass es Missstände gegeben hat. Nicht nur in Bezug auf eine mögliche „Überförderung“ ausgewählter Bereiche, sondern zum Beispiel auch im Zusammenhang mit Mehrfachbezügen des ersten Geschäftsführers der COFAG. Da hat sich offenbar etwas verselbständigen können. Wen wundert’s?
Es ist im Grunde genommen sehr einfach: Auch wenn es zu Beginn der Pandemie sehr schnell gehen musste, hätten Bürgerinnen und Bürger selbstverständlich Anspruch darauf, dass ihre Vertreter auf parlamentarischer Ebene über so etwas Großes zunächst diskutieren, in weiterer Folge kontrollierend tätig sind und allenfalls Konsequenzen ziehen können. Genau das ist jedoch verhindert worden.
Das führt zurück zum Zitat von Wolfgang Peschorn. Es bringt zum Ausdruck, worum es seines Erachtens gegangen ist: Ein kleiner Kreis wollte frei agieren können. „Frei“ heißt, sich nicht unbedingt an Gesetze halten zu müssen und vor allem auch nicht gegenüber dem Souverän verantwortlich sein zu müssen. Das hat etwas vom tiefen Staat und steht in einem Spannungsverhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat. Man kann auch sagen, es ist eine Kampfansage an diesen.
Das Ganze hat eine Vorgeschichte und ist nicht alleinstehend: Dazu gehört, dass (partei-)politisch eingesetzte Generalsekretäre in den Ministieren zur Regel geworden sind; sie sind weisungsberichtigt gegenüber den Beamtinnen und Beamten. Damit geht der Versuch einher, die Verwaltung zu entmachten.
Dazu gehört, dass sich einer wie Ex-Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) beharrlich weigerte, einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss geforderte Unterlagen zu übermitteln. Zur Erinnerung: Erst eine Exekutionsandrohung des Bundespräsidenten brachte ihn zum Einlenken.
Dazu gehört, dass Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) demontieren wollte, weil sie ihm und Seinesgleichen lästig geworden war.
Dazu gehört, dass Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) in der ZIB2 trotz mehrfacher Widerrede durch Moderator Armin Wolf beharrlich behauptete, eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) lasse auch die Interpretation zu, dass die Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina Anfang 2021 nicht rechtswidrig gewesen sei. Das ist ein Versuch, Tatsachen zu verdrehen und so sich und einer Anhängerschaft eine Welt zu konstruieren, in der eigentlich alles möglich ist.
Der Menschenrechtsexperte Adel-Naim Reyhani klärt auf Twitter auf, was der Verwaltungsgerichtshof entschieden hat: Er habe nicht unmittelbar darüber befunden, ob die Abschiebung rechtswidrig war, sondern „nur“ festgestellt, dass die vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in früherer Instanz geortete Rechtswidrigkeit vertretbar und somit eine Amtsrevision dagegen (unter Ressortverantwortung von Karner) unzulässig war. Reyhani: „Dass die Abschiebung rechtswidrig war, ergibt sich also bereits aus der Entscheidung des BVwG vom Jänner 2021.“ Beim Verwaltungsgerichtshof ging es um etwas anderes (die Revision dagegen).
Das mag kompliziert sein, umso weniger darf man es Karner jedoch durchgehen lassen. Sonst wird der Geist seines Vorgängers Herbert Kickl (FPÖ) belebt, wonach Recht der Politik zu folgen hat. Sonst wird Willkür gefördert, wie sie bei COFAG und all den anderen Beispielen mitschwingt.