ANALYSE. Karl Nehammer hat es verabsäumt, einen neuen Kurs zu setzen und für die Sanktionen zu werben. Aus Sorge vor Wahlniederlagen verliert er nun mehr und mehr Rückhalt in seiner eigenen Partei.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wird angezählt. Höhepunkt: Seine Generalsekretärin in der Partei, Laura Sachslehner, tritt nicht einfach zurück, sondern nützt ihre Funktion zuletzt noch, um ihn zu beschädigen. Normalerweise wäre das ein Grund für eine fristlose Kündigung: „Ich habe in den letzten Wochen immer wieder bemerkt, dass ich viele inhaltliche Entscheidungen, die wir aktuell in der Volkspartei treffen, einfach nicht mehr mittragen kann und auch nicht teile. Der Klimabonus war halt der aktuelle Anlassfall“, diktierte Sachslehner der Krone in einem doppelseitigen Interview: Sie selbst sieht sich als Vertreterin einer „Mitte-Rechts-Politik“, wie Sebastian Kurz sie praktiziert hat – und erhält dafür auch noch Sympathiebekundungen namhafter Vertreter der Wiener und der Tiroler Volkspartei; sie zollen ihr Respekt.
Wobei immer auch dies mitschwingt: Mit den Grünen, mit denen man vor nicht einmal einem Jahr den Klimabonus für alle Menschen in Österreich genauso beschlossen hat wie eine Erhöhung („Anti-Teuerungsbonus“) vor dem Sommer, mag man nicht mehr. Fehlt nur noch, dass die ersten aufstehen und fordern, die Koalition zu beenden.
Dieser Prozess ist gemeinsam mit der Demontage von Nehammer vorgezeichnet. Woher kommt das alles?
Erstens: Die Sebastian Kurz-ÖVP und die Grünen haben nie zusammengepasst. Kurz hat eine Lösung dafür gefunden und beim gemeinsamen Programm vom Besten aus beiden Welten gesprochen. „Sie machen ihr Ding, wir setzen unseres fort“, hieß das.
Zweiten: Bis zu seinem Rücktritt erfuhren Kurz und seine Volkspartei so viel Zuspruch, dass diese Masche aufging.
Drittens: Seit dem Rücktritt von Kurz ist das schwer bis unmöglich geworden. Zumal sich die Herausforderungen mit all den Krisen ändern und Karl Nehammer seinen Aufgaben nicht gerecht wird.
Viertens: Die Freiheitlichen werden stärker, holen Stimmen zurück, die ihnen Kurz abgenommen hatte und sind dabei, die ÖVP zu überholen. In einzelnen Umfragen ist es bundesweist bereits so weit, und in einer Erhebung für die „Krone“ ist es das nun sogar in Oberösterreich der Fall, einem schwarzen Kernland bisher.
Fünftens: Hier herrscht Panik, die tief blicken lässt. In den Ländern hat man es in den vergangenen Jahren verabsäumt, sich um eine Neuausrichtung der Partei zu bemühen. Von Vorarlberg bis ins Burgenland hat man allein auf einen Kurz-Effekt gesetzt und diesen genossen, solange er bestand. Jetzt gibt es das böse Erwachen. Man steht buchstäblich nackt da.
Von daher wäre es daneben, das ÖVP-Problem allein auf Nehammer zu reduzieren. Er ist jedoch der Obmann – und lässt als solcher aus: Er setzt den Kurz-Kurs selbst nicht eins zu eins fort, lässt ihn aber (bisher) durch Sachslehner und Leute wie Innenminister Gerhard Karner halt doch irgendwie fortsetzen. Was nichts werden kann, weil einer wie Karner ähnliche Botschaften wie Kurz nicht einmal halb so wirkungsvoll unter die Leute bringen kann wie das Original.
Kurz-Kritiker werden erleichtert darüber sein. Das Verhängnisvolle ist aber eben, dass Nehammer auch keinen anderen Kurs aufsetzt; keinen Kurs einer bürgerlichen Mitte beispielsweise, die es nicht nötig hat, ständig nur auf Asylwerbern herumzutrampeln. Schlimmer: Nehammer schweigt gerade auch in Bezug auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, Sanktionen und die Teuerung viel zu viel.
Das hat dazu beigetragen, dass in Österreich das Verständnis für die Sanktionen relativ klein ist und ihre Aufhebung von nicht wenigen als Notwendigkeit betrachtet wird, um die Teuerung zu stoppen; dass rechte Präsidentschaftskandidaten im Allgemeinen und mehr und mehr auch Freiheitliche im Besonderen damit arbeiten und davon profitieren; dass sich der oberösterreichischer ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer nicht anders zu helfen weiß, als ihnen beizupflichten bzw. auf ihren Kurs zu wechseln.