ANALYSE. Will Bundeskanzler Sebastian Kurz zu einer gewissen Normalität in eigener Sache zurückkehren, muss er den Finanzminister fallenlassen.
„Ich bin ein überzeugter Demokrat und Patriot, ich bin auf die österreichische Bundesverfassung angelobt und bin ihr und den Institutionen zutiefst verpflichtet“, sprach Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) in einem gut vorbereitet wirkenden Eingangsstatement in der ZIB2 vom 10. Mai: „Wenn hier in den vergangenen Tagen ein anderer Eindruck entstanden sein sollte, dann tut mir das wirklich leid und dafür möchte ich mich auch entschuldigen.“
Alles gut? Mitnichten. Zunächst einmal muss an eine Formulierung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnert werden. Dieser hat ausdrücklich erklärt, dass Blümel gegen ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes verstoßen hat, dem Ibiza-U-Ausschuss gewünschte Unterlagen zu liefern: „Der Bundesminister für Finanzen ist diesem Erkenntnis NICHT nachgekommen.“
Sprich: Man sollte sich nicht täuschen lassen, hier geht es um viel mehr als nur einen „Eindruck“. Vor allem aber lieferte Blümel mit seiner „Entschuldigung“ eine klassische „Meinetwegen-Entschuldigung“, wie sie einst kennzeichnend für Jörg Haider waren (unter dem Titel „Wofür ich mich meinetwegen entschuldige“ ist sogar ein Buch mit Haider-Zitaten erschienen).
Es macht einen Unterschied, ob man eingesteht, einen Fehler gemacht zu haben und sich dann entschuldigt dafür. Das zeugt eher von Einsicht und auch der Bereitschaft, sich zu ändern. Blümel dagegen entschuldigt sich gewissermaßen nur, falls ein bestimmter Eindruck entstanden sein sollte. Das reduziert die Glaubwürdigkeit gegen null und ist daher auch wenig vertrauenserweckend.
Die Sache ist offensichtlich: Das Höchstgericht hat den Finanzminister zu etwas verpflichtet, er ist dem nicht nachgekommen bzw. erst, als der Exekutor angekündigt war. Rechtfertigungsversuche ändern nichts daran, zumal sie nur hinterher öffentlich vorgetragen wurden. Abgesehen davon: Ist ein VfGH-Erkenntnis einmal getroffen, lässt sich nicht mehr verhandeln darüber; sonst könnten die Richter gleich dazu übergehen, nur Empfehlungen auszusprechen, an die man sich halten kann, aber nicht muss.
Für Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist Blümel zu einer Belastung geworden. Auch er selbst hat es nicht so mit Recht und Justiz, aber das steht auf einem anderen Blatt. Kurz muss dringend durchstarten. Dazu braucht er erstens eine Überwindung der Coronakrise; also wird er nicht müde, täglich auf Impffortschritt und Lockerungen hinzuweisen. Reden allein wird auf Dauer jedoch nicht ausreichen.
Für die Sanierung das Budgets einerseits und die Ökologisierung verschiedener Systeme andererseits, die mit den Grünen in Aussicht genommen sind, braucht es einen handlungsfähigen Finanzminister, der die Performance von Kurz nicht stört, sondern umsetzt, was diesem nützt; der zumindest kompetent wirkt, durchsetzungsstark gegenüber diversen Playern der österreichischen Politik ist sowie das Vertrauen eines größeren Teils der Bevölkerung genießt. Das ist ein bisschen viel, von dem Blümel kaum noch etwas erfüllt.
Größte Hürde: Blümel ist seit Jahren ein enger Mitstreiter von Kurz. Er weiß nicht nur viel, sondern hat sich stets als loyal gegenüber diesem erwiesen. Vielleicht aber bringt genau das zum Ausdruck, wie schwer die Zeiten für Kurz geworden sind: Er muss sich selbst über solche Dinge hinwegsetzen, wenn er sich um eine längere Kanzlerschaft bemühen möchte. Blümel ist diesbezüglich zu einem Problemfall geworden.
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