ANALYSE. Wenn’s schlecht läuft, greift der Kanzler wichtige Teile des Staates an und stellt auch einzelne Beamte an den Pranger.
Die Grünen haben eine neue Regierungsfunktion gefunden: Sie sind nicht mehr nur dazu da, sich einer Verschlimmerung türkis-blauer Flüchtlingspolitik entgegenzustellen, sondern auch dazu, „ein Abdriften ins Autoritäre“ zu verhindern, wie ihr Chef, Vizekanzler Werner Kogler, in einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ vor wenigen Tagen erklärte. Die Übung gelingt mehr schlecht als recht. Zu heftig sind die türkisen Angriffe, zu wirkungslos ist der Widerstand bisweilen.
Natürlich muss man froh sein, dass nicht mehr Josef Moser auf einem ÖVP-Ticket das Justizministerium führt, sondern die Grüne Alma Zadic (bzw. in den vergangenen Wochen Kogler höchstpersönlich in Karenzvertretung). Das war wichtige für die Beamten im Allgemeinen und die Mitarbeiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Besonderen. So haben sie eine gewisse Rückendeckung erfahren.
Letztlich aber ist das Problem geblieben: Unter direkter Verantwortung des Kanzlers ist infolge zahlreicher Ermittlungen gegen Parteifreunde allen Teilen des Staates signalisiert worden, was passiert, wenn man sich nicht gefällig verhält. Man wird öffentlich vorgeführt und durchaus auch diskreditiert. Das ist eine ernste Warnung.
Bei der WKStA ging es um eine gesichtslose Einrichtung, wurde kein Einzelner gemobbt. Bei Clemens Martin Auer ist das anders. Er, der selbstverständlich Fehler gemacht und auch fürchterliche Medienauftritte absolviert hat, wird vom Kanzler öffentlich hingerichtet. Motto: Liebe Leute, das Impfchaos hat allein dieser Mann zu verantworten. Mittwochabend behauptete Kurz in der ZIB2 beispielsweise, er habe Auer „zur Rede gestellt“ (das klingt nicht zufällig wie „verhört“). Vieles sei jedoch bestritten und geleugnet worden. Vorwürfe hätten sich letztlich jedoch bestätigt.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) war bereits am Montag zur Exekution geschritten: Via Ö1-Morgenjournal verkündete er, dass er von Auer nicht über eine Option auf mehr Impfstoffe informiert worden sei und daher dessen Rücktritt als österreichischer Vertreter im zuständigen EU-Impfgremium angenommen habe.
Zunächst hieß es, es sei um 100.000 Dosen gegangen. Das ist viel und doch nichts. Zum Vergleich: Sebastian Kurz, der heute so tut, als habe er bisher nie etwas mit der Impfstofforganisation zu schaffen gehabt, ließ im Dezember via Twitter verkünden, Biontech-Pfizer liefere im ersten Quartal nach einem „Call“ von ihm 900.000 Dosen. Werden dürften es nun laut Website des Gesundheitsministeriums um 329.085, also über ein Drittel, mehr. Dank Anschober? Oder gar dank Auer? In Wirklichkeit sind diese Prozesse natürlich viel komplexer, was unterstreicht, wie schäbig es ist, einen einzelnen Beamten an den Pranger zu stellen.
Immerhin aber scheinen das nicht wenige Menschen in Österreich zu durchschauen. Das Meinungsforschungsinstitut „Market und Lazarsfeld“ ließ im Rahmen einer Erhebung das Impfmanagement benoten. 20 Prozent gaben Gesundheitsminister Anschober ein „Nicht genügend“, 23 Prozent Spitzenbeamten in dessen Ressort und immerhin 30 Prozent der Steuerungsgruppe in Brüssel. Das sind viele. Den höchsten „Nicht genügend“-Anteil erhielt jedoch Bundeskanzler Sebastian Kurz mit 34 Prozent.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >
4 Kommentare