ANALYSE. Andreas Babler fehlen Antworten auf wesentliche Fragen und zu vielen Genossen fehlt der Glaube, dass er Kanzler werden könnte.
Die ÖVP ist erstaunlich gut aufgestellt. Das ist ernstgemeint: Ihre Funktionärinnen und Funktionäre stehen nach außen hin geschlossen hinter ihrem Obmann, Kanzler Karl Nehammer. Obwohl sie schon so viele Gründe gehabt hätten, sich kritisch über ihn zu äußern. Oder sich über die Lage der Partei zu beklagen. Ein bisschen sind sie jetzt dafür belohnt worden, geschwiegen zu haben. Bei der Europawahl ist die ÖVP abgestürzt, aber knapp hinter der FPÖ und vor allem vor der SPÖ gelandet. Das hilft Nehammer, ein Kanzlerduell mit Herbert Kickl zu inszenieren.
Wie kann eine Sozialdemokratie in Zeiten vor allem auch sozialer Unsicherheiten aus der Opposition heraus verlieren? Eine Erklärung ist, dass sie in sich zerstritten bleibt. Und dass zu viele Genossinnen und Genossen die Hoffnung auf einen Erfolg bei der Nationalratswahl aufgegeben haben. Das kommt genau so an bei den Leuten.
Der burgenländische SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil hat gerade gemeint, das EU-Wahl-Ergebnis sei „nicht berauschend“ gewesen. Und: „Nach der Nationalratswahl werden sich die Verantwortlichen rechtfertigen müssen.“ Soll wohl heißen: Nach der Niederlage.
Der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke hat jüngst in einem „Krone“-Interview gesagt, dass Babler alles tue, um seine Position „bestmöglich auszufüllen“. Im Grunde genommen ein vernichtendes Urteil.
Natürlich: Babler leistet wenig, was einen Mann wie Hanke, der weniger weit links steht als er, überzeugen könnte. Er hat sich verfahren. Sein Ziel, eine Ampelkoalition mit Neos und Grünen zu bilden, ist unrealistisch. Bemühungen, Inhalte zu sortieren, bleiben irgendwo stecken. Wie die 24 Ideen für Österreich, die er vor einigen Wochen präsentiert hat, die aber nicht weiter unter die Leute gebracht, sondern verräumt werden.
Wesentlich für ihn und die SPÖ wäre eine Erzählung, die gut 30 Prozent der Wählerinnen und Wählern den Eindruck vermittelt, mit ihm werde man die Herausforderungen der Zeit meistern; mit ihm gebe es eine bestmögliche Zukunft – jedenfalls eine bessere als unter freiheitlicher oder türkiser Führung. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass eine Bewegung zugunsten von Babler und damit auch zugunsten der SPÖ entstehen könnte.
Dazu gehören würde ein Geist der Weltoffenheit und der Rechtsstaatlichkeit; sowie ein Gesellschaftsbild und eine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Es ist nicht so, dass da nichts ist. Was fehlt, ist jedoch eine Durchflutung aller Inhalte damit.
Babler hat sich auf das Teuerungsproblem konzentriert und übersehen, dass es zwar groß geblieben ist, sich aber entspannt hat; und dass daneben (wieder) zunehmend weitere Probleme wahrgenommen werden von sehr vielen Menschen. Stichwort Migration, Stichwort Umgang mit Geflüchteten, Stichwort Integration, Stichwort (militärische) Sicherheit.
Man kann sich zum Beispiel wundern darüber, warum es so schwer ist für die SPÖ, mit Migration im weitesten Sinne umzugehen und sich damit jegliche Aussicht auf die Stimmen von Wählern zu verbauen, die finden, dass blaue oder auch türkise Zugänge hier alternativlos seien; dass sie stattdessen drei Tage vor der Europawahl plötzlich beginnt, ebenfalls über Abschiebungen nach Afghanistan nachzudenken.