ANALYSE. Die Regierung wird gute Gründe für ihre Vorgangsweise gegen politischen Islam haben. Darüber hinaus tun sich jedoch Widersprüche auf, die auch für ÖVP und FPÖ brisant sind.
Man sollte davon ausgehen können, dass die Bundesregierung sehr gute Gründe hat, Moscheen zu schließen und Imame auszuweisen. Genaueres weiß man nicht. Viel mehr als ein Verstoß gegen die „positive Grundeinstellung zu Staat und Gesellschaft in Österreich“ und gegen ein Verbot zur Auslandsfinanzierung haben Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) und Kultusminister Gernot Blümel (ÖVP) auf einer Pressekonferenz dazu nicht erwähnt. Sie werden wissen warum.
Dass es sehr extreme Muslime gibt, ist bekannt. Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, wird jedoch über-, unter- oder falsch eingeschätzt. Und das zählt zum wirklich Besorgniserregenden in der ganzen Geschichte: Man kann nicht beurteilen, wie viel politische Agitation im Spiel ist oder wie ernst die Sache ist.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass der aktuellste Verfassungsschutzbericht, der öffentlich verfügbar ist, ein etwas anderes Lagebild skizziert. Wörtlich heißt es in dem Dokument zum Jahr 2016 im Kapitel „Islamistischer Extremismus und Terrorismus“ etwa: „Es ist davon auszugehen, dass die salafistisch-dschihadistische Ideologie weiterhin eine attraktive Lebensalternative, gerade für Jugendliche und junge Erwachsene, bleiben wird. Die Gewaltstrategie islamistischer Extremisten setzt auf eine polarisierende Wirkung, um westliche Gesellschaften zu spalten bzw. zu verunsichern und die Spirale der Gewalt aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang könnte durch die Anschläge in Europa eine verstärkte Mobilisierung bereits etablierter islam- und asylfeindlicher Bewegungen stattfinden. Als feindliche Objekte/Angriffsziele können muslimische Glaubenseinrichtungen (Moscheen) und Asylwerberunterkünfte dienen. Kommt es zu einem gesteigerten Aggressionspotenzial seitens islamfeindlicher Gruppen, ergibt sich zudem eine Gefährdung für Einzelpersonen, die als muslimisch identifiziert werden.“
Abgesehen davon, dass das auch für Muslime alles anderes als beruhigend klingt, ist das die einzige Stelle, in der sich die Wörter „Glaubenseinrichtungen“ und „Moscheen“ finden. Sonst ist diese „Szene“ nicht erwähnt.
Geht man davon aus, dass die Regierung heute eben trotzdem gute Gründe für ihre Vorgangsweise hat, kann das nur zweierlei bedeuten: Das zitierte Lagebild ist falsch. Oder es hat sich in den zwei Jahren dramatisch geändert. Beides bedeutet Erklärungsbedarf für den Verfassungsschutz, der bis zum Dezember des vergangenen Jahres unter der politischen Verantwortung eines ÖVP-Vertreters stand. Zuletzt unter der von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und unmittelbar davor unter der von der nö. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.
„Es wird Ordnung gemacht dort, wo Ordnung notwendig ist.“ (Kickl)
Tatsächlich ortet der heutige Innenminister Herbert Kickl nicht näher ausgeführte Missstände. Wörtlich hat er zu den jüngsten Ereignissen im Verfassungsschutz jedenfalls erklärt: „Es wird Ordnung gemacht dort, wo Ordnung notwendig ist.“ Zumal man erwarten können sollte, dass er damit nicht nur eine politische Umfärbung meint, bei der „blau“ für Ordnung steht, sondern Verhältnisse beim BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz- und Terrorismusbekämpfung), ist das alarmierend: Laut Kickl besteht in einer hochsensiblen und ebenso wichtigen Organisation für die Sicherheit des Landes und seiner Bürger eine Art Chaos (Unordnung).
Der jüngste Hilferuf eines BVT-Mitarbeiters ist jedoch ebenso dazu angetan, festzustellen, dass Kickl dieses Chaos verstärkt, wie die kolportierte Aussage von Justiz-Generalsekretär Christian Plinacek, die Vorgangsweise beim Verfassungsschutz sei ein „Skandal“. Was zwangsläufig zur Fragestellung führt, wer denn jetzt das größte Sicherheitsrisiko im ganzen Land ist. Antwort: Es ist nicht zu sagen. Und allein das schon verdeutlicht nebenbei, wie gefährlich nicht zuletzt der BVT-U-Ausschuss auch für die beiden Regierungsparteien werden könnte, die ja beide vor allem für auch für Sicherheit stehen wollen. Stellt sich heraus, dass sie Unsicherheit säen, haben sie ein größeres Problem.