Wenn schon Schweiz

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ANALYSE. Der Industrielle Stefan Pierer wünscht sich Türkis-Blau. Das Beispiel, das er strapaziert, kann jedoch weder ihm noch Kickl gefallen. Er hätte genauso gut irgendeinen anderen Staat nennen können. So viel zum Thema Verfassungs- und Demokratieverständnis.

Forderungen an die nächste Regierung sind bei einer Industrietagung in Linz formuliert worden: Bürokratieabbau und Steuersenkungen stehen im Zentrum. Vertreten wurden sie in Anwesenheit der Landeshauptleute Thomas Stelzer und Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) vom Präsidenten der oö. Industriellenvereinigung, KTM-Vorstand und Ex-Türkisen-Förderer Stefan Pierer.

Der 67-Jährige wünscht sich eine Reformregierung, betont, dass die IV zu allen Parteien äquidistant sei, hat persönlich jedoch Präferenzen. Zitat: Er habe viel in der Schweiz zu tun. Und nach der dortigen Verfassung müssten „die zwei stimmenstärksten Partei eine Regierung bilden. Da braucht es keinen Van der Bellen.“ Mikl-Leitner fand dies lustig. Sie lachte daneben. Worüber genau, lässt sich nicht sagen.

Pierer kommt ohne Zweifel viel herum und ist ein Unternehmer, der auch Erfolge vorzuweisen hat. Politisch hat er aus der Schweiz jedoch wenig mitgenommen. Er betreibt hier, was leider sehr oft passiert: Rosinenpicken, um irgendeinen Kuchen daraus zu backen, der mit dem Original nichts zu tun hat.

Die Schweiz gilt als Vorbild für so vieles. Anhänger der direkten Demokratie würde zum Beispiel gefallen, wenn das österreichische Volk auch so bestimmend sein könnte. Was sie nicht dazusagen: Da müsste der Bürger, die Bürgerin auch als Souverän respektiert werden. Ernstzunehmende Informationspolitik inklusive. Einflussmöglichkeiten der Parteien müssten radikal zurückgedrängt werden.

Und wahrscheinlich wäre auch viel mehr Subsidiarität nötig: Bei den Nachbarn bildet jeder Kanton ein Staat im Staat. Bürgerinnen und Bürger sind von ihrem Selbstverständnis her Verantwortungsträger, die nüchtern abwägen, wie viel Steuergeld es wofür braucht. Daher können sie sich schon einmal für Erhöhungen aussprechen. Landeskaiser oder Landeskaiserinnen wie Stelzer oder Mikl-Leitner gibt es nicht, kann es unter diesen Umständen nicht geben.

Und jetzt zur Regierungsbildung: Dass bei den Eidgenossen die zwei stimmenstärksten Parteien automatisch die Regierung bilden, wie Pierer vermittelt, ist Unsinn. Und darüber kann man auch nicht hinwegsehen, wenn man weiß, dass er einfach nur eine lästige Rolle des Bundespräsidenten sieht und Türkis-Blau möchte. Wenn er dafür einfach nur irgendeine Erzählung erfindet und auf Fakten pfeift.

In der Schweiz werden die Mitglieder der Regierung (bzw. des Bundesrates) vom Parlament gewählt. Wählbar ist jeder stimmberechtigte Bürger, jede stimmberechtigte Bürgerin. Zu beachten ist jedoch, dass durch die Mitglieder erstens alle Regionen und zweitens auch die Sprachgemeinschaften angemessen vertreten sind.

Bis zu diesem Punkt ist also noch nicht einmal von Parteien die Rede. Das kommt hier erst: Für die Zusammensetzung gibt es das, was in der deutschsprachigen Schweiz als „Zauberformel“ oder auch als „magische Formel“ bezeichnet wird und in der italienischsprachigen etwa als formule proportionnelle“. Die sieben Sitze sind mehreren Parteien relativ fix zugeteilt: Je zwei der Volkspartei sowie den Sozialdemokraten und den Liberalen, einer den Christdemokraten. De facto handelt es sich also um eine Konzentrationsregierung, bei der kleinere Parteien, wie die Grünen, unberücksichtigt bleiben. Auf Österreich umgelegt würde es zumindest auf Blau-Türkis-Rot hinauslaufen. Eine Drei-Parteien-Koaltion.

Ob Pierer das will? Was FPÖ-Chef Herbert Kickl jedenfalls gar nicht gefallen würde, ist, dass die Bunderats- bzw. Regierungsmitglieder gleichberechtigt sind. So etwas wie ein Volkskanzler ist also unmöglich. Jeweils für ein Jahr ist ein Mitglied zwar Bundespräsident:in, auch er oder sie ist jedoch Primus inter pares. Das geht so weit, dass bei Staatsbesuchen er oder sie „nur“ stellvertretend für den gesamten Bundesrat ausländische Gäste empfängt.

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