Weiß Nehammer, was er sagt?

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ANALYSE. Der ÖVP-Obmann stärkt die Erzählung, dass die stärkste Partei den Kanzler stellen müsse. Kickl sagt Danke. So oder so ist es demokratiepolitischer Unsinn.

Ganz am Ende des ORF-Sommergesprächs wurde ÖVP-Obmann Karl Nehammer gefragt, welches Wahlziel er habe. Antwort: „Als Nummer eins ins Ziel zu gehen und den Auftrag der Menschen zu bekommen.“ Welchen Auftrag, sagte er zwar nicht. Es ist aber wohl eine zulässige Unterstellung, dass er damit meinte, eine Regierung zu bilden und den Kanzler zu stellen.

Das entspricht jedenfalls auch der türkisen Wahlkampfstrategie, ein „Kanzlerduell“ zwischen Nehammer und FPÖ-Chef Herbert Kickl zu inszenieren. Kalkül: Nehammer selbst mag üble Werte haben, Kickl wird aber von so vielen Menschen abgelehnt, dass man einige von ihnen vielleicht gewinnen kann, wenn man ihnen den Eindruck vermittelt, dass Nehammer die einzig mögliche Alternative sei.

Aufgeklärte Demokraten sollten dieser Darstellung nicht auf den Leim gehen. Sind sie von Nehammer überzeugt, können sie ihn trotzdem wählen. Die Sache ist jedoch die: In Österreich gibt es noch immer eine Nationalrats- und keine Kanzlerwahl. Es werden Parteien gewählt, die weiter denn je von einer absoluten Mehrheit entfernt sind, was bedeutet, dass es mehr denn je darauf ankommt, wer es am Ende schafft, eine Koalition zu bilden, die mindestes 92 der 183 Nationalratsmandate hinter sich weiß.

Man kann auch sagen: Mit größerer Wahrscheinlichkeit hat es noch nie eine Nationalratswahl wie die kommende gegeben, bei der das Ergebnis an sich so wenig über die künftige Regierung aussagte.

Kickl und jetzt auch Nehammer täuschen darüber hinweg: Sie sagen, der Chef der stimmenstärksten Partei habe den Auftrag, eine Regierung zu bilden und diese dann auch anzuführen. Bei Nehammer kann man sich nur wundern darüber: Er mag hoffen, dass die ÖVP Erste wird. Indirekt erklärt er jedoch, dass Kickl zum Zug komme, wenn die FPÖ vorne liege. Danke.

Das Ergebnis der EU-Wahl und aktuelle Umfragewerte deuten darauf hin, dass gut ein Viertel der abgegebenen gültigen Stimmen dafür ausreichen könnten, „Nummer eins“ zu werden. Ein Viertel ist wenig, ja vor allem keine absolute Mehrheit. Wichtiger: Ein Viertel für eine Partei, die antritt, zum Beispiel die Republik zu zerschlagen, kann nicht bedeuten, dass übrige Parteien verpflichtet sind, ihr zu Regierungsverantwortung zu verhelfen. Wo sind wir denn?

Das Schlimme ist, das heute schwer absehbar ist, welche Parteien zu einer Koalition mit mindestens 92 der 183 Nationalratsmandate zusammenfinden könnten, die von einem Grundkonsens getragen ist und gewisse Ziele verfolgt – in Bezug auf Gesellschaft- oder Wirtschaftspolitik etwa; oder in Bezug auf Budget- oder Bildungspolitik zum Beispiel. Da bleiben am Ende am ehesten nur Konstellationen wie Blau-Türkis oder Rot-Grün übrig, wobei zumindest letztere unter Garantie zu keiner Mehrheit kommen wird.

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