ANALYSE. Der FPÖ-Chef profitiert davon, dass für Mitbewerber taktische Überlegungen wichtiger sind als prinzipielle.
Die Empörung über die „Festung Österreich“, die ein militärisch anmutender FPÖ-Chef Herbert Kickl auf einem Plakat fordert, hat sich genauso gelegt, wie jene über den Niederösterreicher Udo Landbauer, der Menschenrechte „nicht mehr passend“ findet oder dessen Landsmann Gottfried Waldhäusl (beide FPÖ), der Schülern ins Gesicht sagt, dass Wien ohne sie noch Wien wäre.
Wenn überhaupt, gab es in diesen Fällen wirklich nur eine Empörung im Sinne einer „von starken Emotionen begleiteten Entrüstung als Reaktion auf Verstöße gegen moralische Konventionen“. Prinzipielle Grenzüberschreitungen, die auch nüchtern betrachtet ebensolche sind und Konsequenzen haben müssen, scheinen keine gesehen worden zu sein. Was zu einem österreichischen Problem überleitet: Im Unterschied zu Deutschland geht fast alles. Unentschuldbar ist nichts. Ergebnis: Einer wie Kickl weiß, dass er sich schier alles erlauben kann.
Natürlich, für das eine oder andere haben zum Beispiel Freiheitliche schon büßen müssen. Aber immer nur, weil‘s entscheidenden Mitbewerbern gerade taktisch gepasst hat: Der Umgang mit Liederbuchaffäre und Landbauer 2018 stand auch im Zusammenhang mit der damaligen Landtagswahl. Sie schadete der FPÖ bzw. nützte der ÖVP, die unter Johanna Mikl-Leitner noch fast 50 Prozent erreichen konnte. Bei der Ibiza-Affäre wiederum hat Sebastian Kurz gefunden, dass die Koalition beendet werden muss. Bei der folgenden Neuwahl profitierte er zwar davon, meldete nach seinem Rückgang später aber Zweifel an, ob es nicht besser gewesen wäre, die Zusammenarbeit trotz allem fortzusetzen.
Vor diesem Hintergrund gibt es nicht einmal Systemdebatten, die aufgelegt wären: In Niederösterreich haben laut Verfassung (Proporz) die Freiheitlichen Anspruch auf drei Mitglieder der Landesregierung. Sie könnten im Landtag zwar allein für Landbauer und Waldhäusl (sowie eine dritte Person) stimmen und würden damit in der Minderheit bleiben, aber die Herrschaften wären gewählt. Und sie wären in weiterer Folge auch nicht abwählbar gegen die Stimmen ihrer Fraktion. Das einzige, worum sich Mikl-Leitner bemühen könnte, wäre zum Beispiel, Waldhäusl nicht mehr mit Asylfragen zu betrauen, die sie ihm bisher – aus welchen Gründen auch immer – ließ.
Wirklich Ausgrenzen geht in der niederösterreichischen Landespolitik gar nicht. Wobei: Will man das? Wäre das sinnvoll? Entscheidend ist wohl, auf welcher Grundlage es geschieht. Verwerflich wäre es zum Beispiel, es nur auf Grundlage persönlicher Animositäten zu tun. Nicht viel besser ist es aber, es einmal so und einmal so zu handhaben. Bis Ibiza hatte die ÖVP kein Problem mit Innenminister Herbert Kickl. Nicht einmal, dass er für Asylwerber Erstaufnahme- in Ausreiszentren umbenannte, ging ihr zu weit. Erst danach kam ein „Nie wieder“.
Mittlerweile hat die FPÖ eine Größe erreicht, die Mitbewerber vorsichtig werden lässt. Auf Bundesebene schließt SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner eine Koalition mit ihr deutlich aus: „Die FPÖ ist nicht regierungsfähig.“ Wahlkämpfende Kollegen von ihr sehen dies anders. Für Kärnten schließt Landeshauptmann Peter Kaiser nichts aus: „Wir werden auch mit der FPÖ reden, es kommt jede Partei, die im demokratischen Verfassungsboden ist, infrage“, sagte er zu „Presse“. Nachsatz: Als Partei, die bei der Landtagswahl Anfang März antritt, sei die FPÖ im demokratischen Verfassungsbogen. Ähnlich David Egger, der die SPÖ Ende April in eine Landtagswahl in Salzburg führt. Auf oe24.tv erklärte er: „Wir haben immer klar gesagt, dass wir mit allen sprechen. Wer sich unseren Ideen anschließen kann, ist immer herzlich willkommen. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Eine Koalition mit der FPÖ in Salzburg ist für uns eine Denkvariante.“ Dazu muss man wissen: Freiheitlichen in Kärnten und Salzburg ist Kickl ein Vorbild und Star.
Herbert Kickl kann Klimaschutzministerin Leonore Gewessler als „Öko-Hexe“ bezeichnen, es bleibt egal. Es zeigt, wie verkommen der politische Diskurs ist – und gelassen wird. Kickl profitiert indirekt auch davon, dass ÖVP und SPÖ nicht (mehr) miteinander können oder wollen. Dass Sozialdemokraten in Kärnten und Salzburg – wie schon in Niederösterreich – eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen als Option darstellen, um eine Alternative zur Volkspartei vorgeben zu können. Und dass sich die ÖVP auf Bundesebene nach all den Brüchen in der jüngeren Vergangenheit schwertut, eine „Große Koalition“ wie in früheren Zeiten de facto als Alternativlosigkeit darzustellen. Zumal sie unter Sebastian Kurz angefangen hat, im selben Wählerteich zu fischen wie die Freiheitlichen.