Was die SPÖ übersieht

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ANALYSE. Wählerinnen und Wählern gehört vermittelt, dass man Sicherheit ernst nimmt. Sonst hat man bei der gegenwärtigen Nachrichtenlage aus Wien schon verloren.

SPÖ-Chef Andreas Babler hat begonnen, Nichtwähler zu umwerben. Das ist grundsätzlich klug, und die Bundespartei hat hier etwas wettzumachen: In Salzburg haben es die Genossen bei der Landtagswahl vor einem Jahr ähnlich wie die Freiheitlichen und die Kommunisten geschafft, mehrere tausend Wähler nicht nur wieder zu Beteiligten zu machen, sondern von ihnen auch ihre Stimme zu bekommen. Bei der EU-Wahl hat die SPÖ das nicht zusammengebracht. Sehr wohl aber die FPÖ: Laut ORF/Foresight-Analyse erhielt sie aus dem bisherigen Nichtwähler-Lager rund 100.000 Stimmen. Das waren viele. Ohne sie wären die Partei nicht erste, sondern dritte geworden.

Babler hat nun in einem offenen Brief Sorgen angesprochen, die er bei Nichtwählern sieht. Dabei handelt es sich um steigende Mieten, fehlende Kinderbetreuungsangebote und geringe Pensionen. Man werde sich darum kümmern, verspricht er.

Auch wenn die Teuerung nachlässt und das Problem für eine Masse nicht mehr ganz so groß ist wie vor ein, zwei Jahren, sollte man nicht übersehen, dass es für 20, 30 Prozent nach wie vor ein erhebliches ist; nämlich für diejenigen zum Beispiel, die schon vor drei, vier Jahren zu kämpfen hatten und jetzt ganz ohne Reserven oder gar höheren Schulden dastehen. Insofern liegt Babler richtig.

Andererseits weiß man seit der EU-Wahl bzw. den Ergebnissen der ORF/Foresight-Befragung auch, dass die Teuerung als größte Sorge abgelöst worden ist; es stehen wieder Zuwanderung sowie Sicherheit und Krieg ganz oben. Sprich: Wer Nummer eins werden will bei der Nationalratswahl, wird schwer umhinkommen, sich dem zu widmen.

Ganz besonders, wenn es zum Thema Sicherheit aus der laut „Economist“ lebenswertesten Stadt der Welt 2024, Wien, gefühlt täglich beunruhigende Nachrichten gibt. Das „Profil“ schreibt von einem „Bandenkrieg“ unter anderem syrischer und tschetschenischer Gruppen. Dazu ist gerade eine Schießerei im Drogenmilieu auf dem bunten Yppenplatz gekommen. Die Polizei beruhigt und Wien mag weit entfernt von Verhältnissen in den meisten Millionenstädten rund um den Globus bleiben. Der Hinweise darauf bringt politisch jedoch wenig bis nichts.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat gemerkt, dass Akzente notwendig sind und via Facebook etwa „ein generelles Verbot für Waffen in der ganzen Stadt“ gefordert. Man kann sich fragen, warum er das nicht im Rahmen einer Pressekonferenz mit seinem Kanzlerkandidaten Babler gemacht hat. Dieser hätte es dringend nötig, dazu wahrgenommen zu werden.

Es geht nicht darum, Freiheitliche zu kopieren, die nur Konflikte befeuern wollen, weil sie davon leben. Es geht darum, Menschen österreichweit zu signalisieren, dass man ernst nimmt, was hier läuft. Dass man Gewalt nicht duldet. Dass man weiß, wie ihr beizukommen ist. Das kann, ja muss man zum Beispiel gerade auch als Anhänger einer offenen Gesellschaft deutlich machen. Sie setzt ein friedliches Zusammenleben voraus. Bzw. das Vertrauen der Leute, dass einem das wichtig ist.

Das größte Problem mit syrischen, afghanischen und anderen Staatsangehörigen mag man dort sehen, wo es keine gibt. Wien gilt eher nur in ländlichen Teilen der Republik als extrem gefährliche Stadt, in der man nachts nicht auf die Straße gehen kann, ja in der man unter keinen Umständen leben möchte. Und? Die SPÖ wird Wahlen nicht gewinnen, wenn sie sich einredet, dass die Sache in urbanen Räumen, auf die sie sich konzentriert, nicht ganz so dramatisch gesehen wird.

Abgesehen davon, dass das nur bedingt stimmt, dass beim Integrationsmonitor der Stadt Wien im vergangenen Jahr nur 48 Prozent angegeben haben, dass das Zusammenleben gut oder ziemlich gut funktioniere; dass eine Mehrheit von 53 Prozent gefunden hat, es gebe zu viel Zuwanderung, zählt zu den größten Schwächen der Sozialdemokratie, dass sie im ländlichen Raum weit hinter ÖVP, aber auch FPÖ liegt. Dass ihr dort begrenzte Lösungskompetenz zu gefühlten Problemen (über die Teuerung hinaus) zugeschrieben wird, zumal sie sich diesen ja auch nicht mit der nötigen Deutlichkeit widmet.

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