Was die Koalition gefährdet

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ANALYSE. 2026 droht sich das Irrationale durchzusetzen. Oder: Warum sich ÖVP und SPÖ wieder zunehmend auseinanderentwickeln.

„Ist der Kuschelkurs zu Ende?“, fragt die „Krone“ nach der Reaktion von Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) auf das Posting der Volkspartei: „Wusstest Du, dass zwei Drittel das Zusammenleben mit Muslimen als schwierig empfinden?“ Antwort Marterbauer auf Bluesky: „Mein Mitgefühl gilt zB den Kolleg:innen aus Bosnien, die vor dem Krieg nach Ö flüchteten, hier seit Jahrzehnten als Leistungsträger:innen in Pflege, Spitälern, Handel oder Industrie arbeiten, Steuern zahlen, ihre Kinder großziehen und dann so etwas lesen müssen. Entschuldigung! Wir sind nicht so.“

Man könnte jetzt lang und breit darüber schreiben, ob es jemals einen trükis-rot-pinken Kuschelkurs gegeben hat. Wichtiger ist, dass eine Bereitschaft zu einer schier alternativlos wirkenden Zusammenarbeit existierte; und dazu, das Budget wieder so weit in Ordnung zu bringen, dass es Maastricht-Vorgaben nahekommt.

Darüber hinaus war jedoch zu wenig – und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Das erwähnte Posting der Volkspartei steht für wachsende Panik bei den Türkisen: In Umfragen halten sie einen halb so großen Stimmenanteil wie die FPÖ, und Christian Stocker müsste sich bei einer Kanzlerdirektwahl mit rund zehn Prozent begnügen.

Schlimmer: Auch in den Ländern wächst die Nervosität. Nach der Steiermark könnten auch Oberösterreich und unter Umständen sogar Niederösterreich an die Freiheitlichen wandern, wenn es so weitergeht. Natürlich: Nichts geht ewig „so weiter“, in der ÖVP hat jedoch kein Mensch eine Idee, wie man aktiv gegensteuern könnte. Und zwar wirklich kein Mensch.

Umso kleiner wird die Bereitschaft auf Bundesebene, Kurs im Sinne der Koalition zu halten. Die ÖVP will von der Grundsteuerreform, die den Gemeinden unter ihrem damaligen Finanzminister Magnus Brunner und auch von ihren Ländervertretern im Zuge der Verhandlungen über den Finanzausgleich 2023 in Aussicht gestellt worden ist, nichts mehr wissen.

Sie sagt „Keine neuen“ oder „Keine höheren Steuern“. Was sie trotz der erwähnten Zusage tun könnte, wenn sie auch B sagen würde. Also zum Beispiel der Aufforderung des Fiskalrats entsprechen würde, eine größere Pensionsreform zu fixieren und damit bei den Ausgaben anzusetzen. Aber auch davon will sie nichts wissen. Zu unpopulär.

Es ist wie bei der Abschaffung der kalten Progression. Mit den Worten „Ciao ohne au“ hatte Brunner diese gefeiert. Hinweise, dass es zugleich notwendig sein würde, dafür zu sorgen, dass der Staat künftig mit weniger stark steigenden Einnahmen zurechtkommt, hat er nicht einmal ignoriert. Auch das hat zur gegenwärtigen Budgetlage beigetragen. Es hat Züge einer fahrlässigen Krida.

Oder das eingangs erwähnte „Posting“: Es steht auch dafür, dass die ÖVP in ihrer Not wieder ganz türkise Politik im Sinne von Sebastian Kurz betreiben möchte. Es wird schwer gut ausgehen für sie. Unter Kurz hat es ihr vorübergehend, aber doch Wahlerfolge beschert. Aber Stocker, geschweige denn Claudia Plakolm sind nicht Kurz.

Die ÖVP wird trotzdem zunehmend irrational: Sie weiß, dass diese Koalition auf Bundesebene halten muss. Dass Neuwahlen oder ein fliegender Wechsel zu Blau-Türkis keine Optionen sein können für sie. Sie weiß, dass es am Ende des Tages darauf ankommt, dass eine Mehrheit der Menschen in Österreich das Gefühl haben, dass es ihnen besser geht und dass sie der Politik ein Anliegen sind. In ihrer Panik aufgrund der miserablen Umfragewerte von heute wird sie jedoch zunehmend unfähig, sich ganz auf dieses Ziel zu konzentrieren, das rechtzeitig vor der oberösterreichischen Landtagswahl im Herbst in zwei Jahren erreicht sein sollte.

Das alles gefährdet die Koalition: Sozialdemokraten mögen sich noch zurückhalten. Andreas Babler scheinen die Umfragewerte, die auch für ihn und seine Partei übel sind, nicht weiter zu beunruhigen. Er oder auch Markus Marterbauer verzichten jedenfalls darauf, „jetzt erst recht“ (doch wieder) Vermögenssteuern zu fordern.

Für Marterbauer (und die Gemeinden) ist es aber ein Problem, dass die ÖVP von einer Grundsteuererhöhung nichts mehr wissen will. Und dass die Bereitschaft, zu sparen, in den Ländern im Hinblick auf bevorstehende Urnengänge schwindet. So wird sich ein gesamtstaatliches Defizit von unter drei Prozent schwer ausgehen.

Ja, für Marterbauer ist schon unerträglich, was die Volkspartei eben zu Muslimen in Österreich schreibt. Wobei dieses „schon“ hier für eine Ablehnung dessen steht, was der Koalitionspartner abseits von seinem Zuständigkeitsbereich grundsätzlich liefert. Es ist ein Blick in einen Abgrund – bzw. etwas, womit 2026 vermehrt zu rechnen ist.

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