ANALYSE. Nicht nur, dass Kickl von einem „Volkskörper“ spricht, es gibt auch kaum Widerspruch. Das sagt etwas.
„Hab diesseits des Neonazismus länger kein so offenes Bekenntnis zum organisch-biologischen Volksbegriff gehört“, schreibt Bernhard Weidinger vom „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ auf Bluesky. Gemeint ist, was FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch fast schon im Abspann gesagt hat: Er gab sich verwundert darüber, nichts zur Flüchtlingskrise vor zehn Jahren sagen zu sollen und tat es dann doch: Damals, so Kickl, sei eine Wunde „in den österreichischen Volkskörper“ geschlagen worden. Auf Ö1 wurde das tags darauf aufgegriffen und auch in einigen anderen Medien. Das war’s jedoch.
Zu Jörg Haiders Zeiten wäre das wohl anders gewesen. Nachdem er im Juni 1991 im Kärntner Landtag von einer „ordentliche Beschäftigungspolitik“ im Dritten Reich gesprochen hatte, geriet er unter Druck. Er zog die Aussage umgehend zurück, wurde letzten Endes jedoch als Kärntner Landeshauptmann abgewählt.
Kickl hat nichts zu befürchten. Er hat massiven Einfluss auf die Innenpolitik, ist in einigen Bereichen, wie Asyl und Migration, längst maßgebend. Zweitens: Teile von ÖVP und zunehmend auch SPÖ sind zurückhaltend geworden. Bürgerliche finden es daneben, von einer Brandmauer zu reden: Ausgrenzung mache ihn nur noch stärker, sagen sie. Seinen Wählern, die viele sind, müsse man halt Rechnung tragen.
Dabei geht es bei einer Brandmauer und Ausgrenzung nicht um ein Nicht-ernst-nehmen von Wählern, sondern um Prinzipien, die allen nützen würden: Weil sie nicht mehr gepflegt werden und sich daher auflösen, kann sich die Erzählung von Kickl mehr und mehr durchsetzen, gilt sie immer mehr als normal. Anders formuliert: Nicht Ausgrenzung und eine Brandmauer stärken Kickl, sondern die fehlende Verteidigung von Prinzipien in Bezug auf den demokratischen Rechtsstaat und die europäische Integration, auf Grund- und Freiheitsrechte, auf Offenheit und Vielfalt, ob an Meinungen oder an Herkunft.
Kickl kann von Monat zu Monat weitergehen, spricht jetzt von einem „österreichischen Volkskörper“. Auf dem Bildungsportal NS-Zwangsarbeiter ist erklärt, was mit dem „deutschen Volkskörper“ oder auch der „Volksgemeinschaft“ gemeint war: „Als zentraler Begriff in der nationalsozialistischen Ideologie bezeichnete er die fiktive Vorstellung einer klassenlosen Gemeinschaft aller „rassisch reinen“ Deutschen als einheitliches Volk, das angeblich verbunden sei durch Blut, Kultur sowie gemeinsame Erfahrungen und Gesinnung. Die Idee der Volksgemeinschaft sollte eine starke Identifikation der Mehrheit mit dem nationalsozialistischen Regime herbeiführen und die Geschlossenheit untereinander fördern. Dazu gehörte der Ausschluss bestimmter Gruppen: etwa Juden:Jüdinnen, Sint:izze und Rom:nja, Homosexuelle, politische Gegner:innen und Menschen, die als „asozial“ verfolgt wurden.“
Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Verwendung dieses Begriffes erst recht. Wie es auch der „Volkskanzler“ und die „Volksverräter“ tun, mit dem Kickl sich und mit denen er Nicht-Freiheitliche meint, für die er schon einmal eine „Fahndungsliste“ verlangt hat. Vor diesem Hintergrund erhält auch das Gerede von „Umvolkung“, der Freiheitlichen zufolge durch „Remigration“ zu begegnen sei, eine größere Tragweite. Wie es einerseits auch der Ruf tut, in der Verfassung zu verankern, dass es nur zwei Geschlechter gebe und anderseits eine Anti-Queeren-Politik sowie die Forderung tun, im Frauensport keine Transgender-Personen zuzulassen. Es unterstreicht, dass hier nichts zufällig ist, sondern alles zu einem Ganzen gehört.