Was aus Liberalen geworden ist

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ANALYSE. Die Zustimmung zur „Gefährder-Überwachung“ belastet die Neos. Ihr Glück ist, dass sie vorerst von etwas ganz anderem profitieren.

„Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“, habe es in den 1990er Jahren bei der Einführung von Rasterfahndung und Lauschangriff geheißen. In Wirklichkeit sei aber schon damals klar gewesen, „dass nicht nur Grundrechte ausgehöhlt und Gesetze verändert wurden, sondern dass mit diesen Maßnahmen auch in den Köpfen der Menschen Grenzen verrückt und das emotionale Verständnis für kommende Schritte (die Grundrechtsskala hinunter) durch Gewöhnung aufgebaut werden sollte“, schrieb Heide Schmidt, Gründerin des Liberalen Forums (LiF), dessen Reste später in den Neos aufgegangen sind, 2001 im „Standard“.

Heute stimmen die Neos mehrheitlich der „Gefährder-“ bzw. „Messenger-Überwachung“ zu. „Lauschangriff und Rasterfahndung hoch x“, sozusagen. Als Regierungspartei sehen sie sich dazu gezwungen. Den Protest, dem sie sich in Opposition wohl angeschlossen hätten, müssen sie anderen überlassen. NGOs zum Beispiel, von der Datenschutzorganisation Epicenter Works über Greenpeace bis zur Katholischen Aktion, die einen „historischen Rückschritt für die allgemeine Sicherheit“ orten: Der Staat werde zum Hacker, warnen sie, Sicherheitslücken würden absichtlich offen gelassen. Dass es möglich ist, Messengerdienste gezielt zu überwachen, wie behauptet wird, sei falsch; es gehe darüber hinaus.

Noes sind nicht mehr das LiF, aber noch immer eine liberale Partei. Gewesen? Für eine Partei, die schon im Zweifelsfall und hier erst recht für Grundrechte eintreten müsste, ist das Ganze unverträglich. Viel mehr noch als die Mitwirkung an der neuen „Social-Media-Regelung“, die ebenfalls Scherwiegendes, aber nicht so Fundamentales wie eben Grundrechte betrifft.

Untergehen werden sie deswegen jedoch nicht. Wie die Grünen sind sie längst dabei, einen neuen Platz einzunehmen in der österreichischen Politik. Wie diese sind sie keine kleine Nischenpartei mehr, sondern für gut zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler trotz allem schier unverzichtbar.

Die Neos sind bei weitem nicht dorthin gekommen, wo sie heute sind, weil sie Pensionsreformen oder die Abschaffung von Neutralität und Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern fordern. Im Gegenteil, damit sind sie eher sogar zurückhaltend geworden in den vergangenen Jahren. Sie sind auch nicht so weit gekommen, weil sie sich in erster Linie dem Kampf für Grundrechte verschrieben hätten. Das hätte allenfalls für fünf Prozent gereicht. Siehe Schicksal des LiF: In Österreich ist Liberalismus gerade auch im Zusammenhang mit Recht ein absolutes Minderheitenprogramm.

Gewachsen und gehalten haben sie sich aus Gründen, die ihnen vorerst eine gewisse Sicherheit geben. Erstens: Sie sind eine Absage an rechtspopulistische Züge, die zum Autoritären neigen und ständig Anti-Politik betreiben; ob in Bezug auf Flüchtlinge und Migranten oder in Bezug auf die EU. Zweitens: Sie stehen nicht für Machtmissbrauch und Korruption. Drittens: Sie sind bereit, Verantwortung zu tragen und Kompromisse einzugehen. Das ist aus Sicht eines Teils der Wählerschaft unbezahlbar, ja wiegt auch Unzumutbares wie die „Messenger-Überwachung“ auf; und zwar vor allem aufgrund der verbreiteten Überzeugung, dass es Österreich ungleich schlimmer erwischen könnte – mit einem Kanzler Kickl und einer Orbanisierung.

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