Was aus Corona wurde

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ANALYSE. Politische Folgen der Impfpflicht sind nach wie vor groß – und vor allem für Freiheitliche relevant.

In Zeiten multipler Krisen ist es schwierig, abzuschätzen, was Einfluss worauf haben könnte. Vieles geht ineinander über. Gerne werden andere Themen auf die politische Agenda gesetzt. Beispiel EU-Renaturierungsgesetz. Hier geht es nicht nur um die Sache. Es kann Grünen gefallen, aufgezeigt zu haben, wie wichtig ihnen Klima- und Umweltschutz ist. Türkise können durch ihre Empörung über die Vorgangsweise von Leonore Gewessler wiederum Teile der Wählerschaft, die Klimawandel halt Klimawandel sein lassen wollen, aber auch der Medien auf ihre Seite ziehen.

Vergleich etwa Text, den Eva Dichand, Herausgeberin der inseratenabhängigen Graitszeitung „Heute“ dazu geschrieben hat. Titel: „Gesetze egal, Verfassung egal: Alleingang und Chaos!“, geht sie einer Erzählung der Volkspartei auf dem Leim, die zu schlicht ist; ohne abzuwägen, ohne zu hinterfragen; ganz im Sinne des Urteils, das ÖVP-Chef, Kanzler Karl Nehammer („Verfassungsbruch!“) bereits gefällt hat, ohne eine notwendige, ja wichtige Klärung des Ganzen abzuwarten.

So rückt Coronapolitik noch stärker in den Hintergrund. Wobei: Man sollte sich nicht täuschen. Freiheitlichen kann man viel vorwerfen. Ihnen zu unterstellen, sie hätten kein Gespür dafür, womit man einen bedeutenden Teil der Leute ansprechen kann, wäre jedoch daneben. Es handelt sich um eine große Stärke von Herbert Kickl und Co.

Zusammengefasst haben sie ihre Wahrnehmungen auf ihrem EU-Wahlplakat: Neben Krieg, Asyl und Klima besetzten sie das Thema Corona. Zum Stichwort „Corona-Chaos“ war eine Spitze dargestellt.

Es mag überrascht haben. Schon bei der niederösterreichischen Landtagswahl Anfang 2023 hat man hinterher jedoch überrascht festgestellt, wie sehr das Thema noch immer präsent war. Auch jetzt bei der Europwahl kann man es leicht übersehen: Laut Wahltagsberfragung des ORF stand „Covid-Pandemie“ nach Ansicht der Wahlberechtigten alles in allem unter ferner liefen. Weit nach Zuwanderung, Sicherheit und Krieg, Umwelt- und Klimaschutz, Wirtschaft, Sozialpolitik und anderem. Für FPÖ-Wähler allein war es jedoch sehr relevant, gehörte es laut der Befragung noch immer zum vieldiskutierten.

Nicht vergessen ist es auch für den scheidenden Neos-Abgeordneten Gerald Loacker. Auf die Frage, was politisch der schwerste Fehler seiner Partei gewesen sei in seiner Zeit, hat er in einem „Standard“-Interview gerade gemeint: „Ich glaub, dass die Impfpflicht-Geschichte der liberalen Erzählung und der Verständlichkeit der liberalen Erzählung geschadet hat.“

Das ist ein wichtiger Punkt. These: Mit Coronapolitik, der Impfpflicht und der Art und Weise, was in diesem Zusammenhang kommuniziert worden ist, ist eine, wie soll man sagen, politische Erschütterung einhergegangen. Den einen, die vielleicht grundsätzlich eher zu Freiheitlichen tendieren, hat das alles signalisiert, dass der Staat gegen sie sei. Anderen, die eher mit Neos, aber auch Grünen sympathisieren, war die Impfpflicht insofern ein traumatisches Ereignis, als der Staat dadurch so weit und so unmittelbar in eine persönliche Sphäre eingegriffen hat, wie seit Menschengedenken nicht.

Das ist für beide nicht vergessen, scheint bei der ersten Gruppe aber noch eher nachzuwirken. Wie kann man das sagen? Es ist eine Vermutung. Leider gibt es zu solchen Fragen keine regelmäßigen Erhebungen (mehr). dieSubstanz.at hat jedoch die Europawahlergebnisse aus sechs Bezirken in sechs Bundesländern zusammengefasst, in denen die Durchimpfungsrate Ende 2021 besonders niedrig war.

Hier hat die FPÖ ihren Stimmenanteil um mehr als die Hälfte auf 30 Prozent ausweiten können. Wobei man vorsichtig sein muss: Es handelt sich zwar nicht nur um ländliche Bezirke, es ist auch Wien-Favoriten dabei; es handelt sich aber eher um ländliche Bezirke. Und gerade hier wirken multiple Krisen sehr wahrscheinlich in Summe sehr stark.

Aber genau das ist es ja, woran Freiheitliche auf ihren Wahlplakaten anknüpfen. Kickl hat eine Erzählung daraus gemacht: „Der Staat ist gegen euch, er handelt zu eurem Nachteil“, ruft er. Mit Corona hat es demnach begonnen, bei Asyl, Teuerung und Krieg setzt es sich laut dieser Darstellung fort.

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