ANALYSE. August Wöginger profitiert von einem rechtsstaatlich lockern Umgang mit Korruption. Seine eigene Partei wäre da strenger. Theoretisch.
Bundeskanzler und ÖVP-Chef Christian Stocker hält Österreich am Schmäh, wie man so sagt: Er will keine neue Politik machen und auch keine strengeren Maßstäbe anlegen als zum Beispiel sein Vorvorgänger Sebastian Kurz. Natürlich ist er anders gestrickt. Aber das ist hier nicht der Punkt: Stocker lässt es parteipolitisch einfach weiterlaufen, im Glauben, dass vielen alles lieber ist als ein Kanzler Kickl (FPÖ); und dass er und die Volkspartei daher nicht verlieren können, sondern die Kanzlerschaft behalten.
Das erklärt, dass Stocker nach dem Ausgang des Korruptionsprozesses mit ÖVP-Klubobmann August Wöginger jubelte, dieser habe den Gerichtssaal als unbescholtener Mann verlassen und das freue ihn nicht nur als dessen Freund, sondern auch als Bundesparteiobmann der Volkspartei sehr: Die Angelegenheit sei damit erledigt.
Das ist frech: Wöginger profitiert von einem rechtsstaatlich lockeren Umgang mit Korruption. Wie zum Beispiel illegale Parteienfinanzierung kein Straftatbestand, sondern ein Kavaliersdelikt ist, wie man hierzulande deswegen also nicht im Häfen landen kann im Unterschied zu Frankreich etwa, so gibt es bei Amtsmissbrauch seit einigen Jahren eine Möglichkeit zur Diversion.
Sie ist im Sinne von Wöginger angewendet worden: Er zahlt unter anderem 44.000 Euro und Punkt. Zuvor hat er im Prinzip zugegeben, sich für die Bestellung eines Parteikollegen zum Leiter eines Finanzamtes in Oberösterreich stark gemacht zu haben, aber betont, dass er die Sache heute mit ganz anderen Augen sehe. Hätte er damals gewusst, dass eine besser qualifizierte Bewerberin letzten Endes nicht zum Zug gekommen ist, hätte er anders gehandelt: „Es tut mir wirklich leid. Ich habe das in dieser Dimension nicht vorhergesehen, aber ich übernehme die Verantwortung.“
Rechtlich ist der ÖVP-Klubobmann damit erfolgreich gewesen. Aber politisch? Politisch sind andere Maßstäbe anzusetzen.
Wöginger steht dazu, für einen Parteikollegen lobbyiert zu haben. Das ist ein glatter Verstoß gegen den Verhaltenskodex der ÖVP. Die Partei hat diesen vor 15 Jahre in Folge der Affäre Ernst Strasser festgelegt. Saubere und ehrliche Politik sollte dadurch gewährleistet werden.
Daher heißt es im Kodex etwa: „Interventionen oder Protektionismus mit dem Ziel einer gewollten Ungleichbehandlung bzw. unsachgemäßen Entscheidung sind strikt abzulehnen.“ Oder: „Funktionsträgerinnen und Funktionsträger sind für alle Bürger ansprechbar. Sie kümmern sich um Bürgeranliegen und bemühen sich um Lösungen. Dabei ist darauf zu achten, dass es nicht zu unzulässiger Einflussnahme, inhaltlicher oder zeitlicher Bevorzugung insbesondere gegenüber Dritten kommt.“
Letzteres passt sehr gut zum Fall Wöginger: Schon Ex-ÖVP-Chef Karl Nehammer hat ja versucht, so zu seinen Gunsten zu argumentieren, als habe er lediglich das Anliegen eines Bürgers, der zugleich halt ÖVP-Bürgermeister ist, transportiert; als habe er nur Gutes tun wollen, was aber eben zu dem bekannten Ergebnis geführt hat.
Also: Was ist jetzt? Stockers Aussage lässt darauf schließen, dass der Verhaltenskodex nicht ernst genommen wird. Obwohl die darin enthaltenen Formulierungen wohl nicht irgendwoher kommen. Die Autoren waren sich bewusst, dass hier Regelungsbedarf besteht. Sonst hätten sie es wohl kaum so formuliert.
Auch vor diesem Hintergrund ist es einfach nur ungeniert, wenn ein 50-jähriger Klubobmann, der das Geschäft in und auswendig kennt. so tut, als sei er sich der Folgen seines Tuns im konkreten Fall nicht bewusst gewesen; als habe er sich mit dem Besetzungsvorgang am betreffenden Finanzamt nicht weiter beschäftigt: Es heißt im Grunde genommen, dass er sich für jede Funktion disqualifiziert hat, mit der Entscheidungsgewalt einhergeht.
Aber Stocker freut sich, dass er weitermachen kann.