ANALYSE. Die ÖVP sei „gefangen in einer Kompromiss-Koalition“, schreibt die „Presse“ und liefert damit eine Bestätigung für den Zustand dessen, was gemeinhin als bürgerlich bezeichnet wird.
Vieles ist unbestreitbar, was die „Presse“ in einem Leitartikel mit dem Titel „Kanzlerpartei ohne Kanzler und Bonus“ schreibt. Dass die ÖVP ausgelaugt sei und kaum noch spannende Persönlichkeiten anzubieten habe, die in der Lage wären, die Wähler mitzunehmen, beispielsweise. Nicht unbestreitbar ist jedoch die Feststellung, dass sie „gefangen in einer Kompromiss-Koalition“ sei.
Was heißt hier „gefangen“? Sie hat sich selbst dafür entschieden: Laut Christian Stocker ist sie nicht mit der FPÖ zusammengegangen, weil ihr Herbert Kickl das Innenministerium vorenthalten hat. Bei Schwarz-Blau-Pink wiederum steht laut Stocker sogar ausdrücklich der „Kompromiss“ im Vordergrund, das hat er gleich in der Regierungskoalition siebenfach betont.
Es gibt jedoch Schwächen – und auch für diese ist die ÖVP (mit-)verantwortlich: Das Koalitionsmotto „Das Richtige tun“ wirkt bestimmt, ist in Wirklichkeit jedoch unbestimmt. Er besagt ungefähr dies: „Wir wissen nicht, in welche Richtung wir gehen, sagen aber, es sei die richtige.“
Abgesehen davon ist keine große Frage erkennbar, in der die ÖVP gezwungen ist, Abstriche zu machen: Inhaltlich haben die Sozialdemokraten etwa Verzicht üben und eine Vermögenssteuer liegen lassen müssen. Aber sie? Sie hat die Aussetzung des Familiennachzugs ebenso bekommen wie das Kopftuchverbot an Schulen. Sie hat vielleicht Dinge hinnehmen müssen, die ihr weniger gefallen, wie die Mietbremse, groß geschadet hat ihr das aber kaum.
Schaden tut sie sich ausschließlich selbst: Indem sie Postenschacher, betrieben durch ihren Klubobmann August Wöginger, als Lässlichkeit darstellt; und durch ihren Wirtschaftsmann Harald Mahrer sowie ihren Umgang mit diesem.
Die ÖVP kann nicht einmal sagen, sie hätte gerne eine große Pensionsreform oder – besser – eine noch größere Staatsreform, mit SPÖ und Neos sei das jedoch nicht möglich. Die Frage des Kompromisses, der schmerzlich sein könnte, stellt sich für sie nicht, weil sie nichts Wesentliches will.
Zweitens: Wenn es aus einer Ecke, die gemeinhin als bürgerlich bezeichnet wird, heißt, diese Koalition sei ein Problem für die Volkspartei, dann schwingt dabei mit, dass eine sogenannte bürgerliche Koalition besser (gewesen) wäre. Also Blau-Schwarz.
In einem solchen Fall wäre eine wirklich bürgerliche ÖVP Geknechtete in einer Koalition voller Unzumutbarkeiten: Annäherung an Russland; Förderung von Fake-News-Schleudern; und Blockade, ja Rückbau der europäischen Integration, um drei Beispiele dafür zu nennen, was sich abgezeichnet hätte.