ANALYSE. Die Republik steht Kopf. Doch vom Bundespräsidenten ist nichts Relevantes zu hören. Er hat ganz offensichtlich dieselbe Schwäche wie seine Ex-Partei.
Von der Papierform her wären das ja Traumwahlen für die Grünen gewesen: Nie zuvor haben sich Volksparteien so unmissverständlich rechts positioniert. Haben so getan, als habe Österreich nur ein Problem: Ausländer. Sei es im Sozial- oder im Bildungsbereich. Ganz zu schweigen von der Sicherheit und dem Arbeitsmarkt. Wobei auch die Sozialdemokratie ihren Beitrag leistete, wie Heribert Prantl, Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung, in seiner Video-Kolumne ganz brutal feststellt.
Vor diesem Hintergrund sollte man nicht nur meinen, dass es gut und gerne zehn bis 20 Prozent gibt, die sich nach einer Alternative dazu sehnen; es ist sehr wahrscheinlich so. Und das wäre zwar keine Mehrheit, aber eine relevante Minderheit: Entsprochen hat ihr nach einer weiteren Kursänderung zuletzt jedoch am ehesten SPÖ-Chef Christian Kern. Und überhaupt ein Stück weit die NEOS mit ihrem unmissverständlichen Bekenntnis zu Chancen und vor allem auch der europäischen Integration.
Es geht längst nicht nur um die Freiheitlichen, sondern darum, dass auch andere Parteien ihren Spin übernommen haben.
Aber die Grünen? Ihre Niederlage ist wohl auch damit erklärbar, dass sie dieser Sehnsucht ziemlich vieler Wähler nicht gerecht wurden. Dass sie irgendetwas mit Klimaschutz plakatierten und da und dort erklärten, die einzigen zu sein, die nicht mit den Freiheitlichen koalieren würden. Das war’s. Und das konnte natürlich nicht reichen: Es geht in Österreich ja längst nicht nur um die Freiheitlichen, sondern darum, dass auch andere Parteien ihren Spin übernommen haben, wie Prantl analysiert.
Die Republik steht Kopf: Die Grünen sind bereits aus dem Parlament geflogen, die SPÖ wickelt sich gerade selbst ab – bleiben allein die ÖVP und die Freiheitlichen, die sich ihren Wahlprogrammen zufolge jetzt ganz auf ein „Ausländerproblem“ fokussieren werden und daneben darüber sinnieren, das demokratische System umzubauen. Von wegen „Volksgesetzgebung“ (FPÖ) und dergleichen.
Worauf ein Bundespräsident achten müsste? Dass gewisse Prinzipien eingehalten werden.
Da wäre jetzt dann wirklich einer gefragt, der vom Volk direkt gewählt worden ist, um auf ein paar Dinge zu achten: Dass der politische Diskus nicht völlig ein-, um nicht zu sagen jenseitig wird. Dass zivilisatorische Grundprinzipien, wie die Menschenwürde, beachtet werden. Und dass auch andere Herausforderungen berücksichtigt werden: Qualifizierung (auch der größten Talente), Alterung, Digitalisierung etc. Es würde da unglaublich viel geben.
Die Rede ist vom Bundespräsidenten. Er hat immer wieder Gelegenheiten, das Wort zu greifen. Festspiel- und Messeeröffnungen beispielsweise. Allein: Alexander Van der Bellen nützt sie nicht. Seit seiner Angelobung gibt es kaum ein Wort von ihm, das den gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen gerecht werden würde. Womit er seiner Rolle ebenso wenig entspricht wie seine Ex-Partei, die Grünen; mit dem einzigen Unterschied, dass es in seinem Fall um eine echte Verpflichtung gehen würde.
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