ANALYSE. Zum türkis-grünen Verhandlungsfinale: Im Zentrum steht die Frage, ob Sebastian Kurz zu einer ziemlich radikalen Kursänderung bereit ist.
Am Ende soll es schnell gehen: Türkise und grüne Emissäre bereiten darauf vor, dass am Wochenende, jedenfalls aber vor Weihnachten, verkündet werden solle, dass Türkis-Grün kommt. Wobei bemerkenswerterweise nicht verhehlt wird, dass noch nicht alle Brücken stehen, um es mit den Worten von Grünen-Sprecher Werner Kogler zu sagen. Insofern weiß man nie, wieviel Taktik hinter solchen Ankündigungen steckt: Vielleicht geht es ja nur darum, den Verhandlungspartner unter Druck zu setzen. Motto: Bis morgen musst du zustimmen, ein Übermorgen gibt es nicht mehr.
Für die ÖVP von Sebastian Kurz ist Türkis-Grün eine ganz besondere Richtungsentscheidung: Sie hat bei der Nationalratswahl abgeräumt und auch angekündigt, ihre „ordentliche Mitte-Rechts-Politik“ fortzusetzen. Dazu ist ihr Wahlsieg jedoch nicht groß genug ausgefallen bzw. haben die Freiheitlichen als einzig mögliche Partner dafür zu groß verloren. Ironie der Geschichte ist also, dass die Volkspartei ihren Kurs wohl oder übel aufgeben muss.
Selbst die Variante Minderheitsregierung wird immer unrealistischer: Natürlich würde sie eine Zeit lang halten, weil Freiheitliche und Sozialdemokraten vorsichtig sein müssen. Kurz wieder stürzen und Neuwahlen riskieren, geht gar nicht für sie; dabei würden eher nur sie verlieren. Ja, die beiden sind neutralisiert. Andererseits: Eine Minderheitsregierung müsste zudem vom Bundespräsidenten akzeptiert werden und fünf Jahre würde sie im Übrigen auch nicht halten. Und im Hinblick darauf fehlt aus heutiger Sicht die Perspektive: Die ÖVP würde im besten Fall nur eine Option gewinnen (Türkis-Pink). Im schlechtesten Fall bliebe die Ausgangslage für die Regierungsbildung unverändert.
Für Kurz ist das bitter: Er hat die Freiheitlichen aus der Regierung geschmissen, kann ohne sie aber nicht machen, was ihm am ehesten entsprechen würde. Rechtspopulistische Symbolpolitik nämlich. Mit den Grünen wird es kaum weitere Bösartigkeiten gegenüber Fremden geben. Auch mit der schlichten Steuerpolitik ist Schluss: Es gibt nicht mehr „ausschließlich Entlastungen“ und „gar keine Belastungen“, sondern sowohl als auch: Runter beim Faktor Arbeit und rauf beim Energieverbrauch.
Solche Dinge erfordern einen ganz anderen Sebastian Kurz: Bisher ist er erfolgreich gewesen, weil er es verstanden hat, die Leute mit schlichten Botschaften zu erreichen. In diesem Sinne wollte er im Wahlkampf nichts von eine ökosozialen Steuerreform wissen. Das war zu kompliziert: Einem Pendler, der an der Tankstelle plötzlich 20 Prozent mehr zahlt für den Sprit, überzeugend darzulegen, dass er am Ende des Tages gewinnt, weil er einen sogenannten Ökobonus erhält, ist schwer bis unmöglich.
Andererseits wird Kurz selbst wissen, dass seine bisherige Politik nicht nachhaltig ist: Das Nulldefizit wird schon gefährdet, wenn die Wirtschaft nicht mehr ganz so brummt. Das Gerede von Entlastungen passt auf Dauer nicht zusammen mit der Erhöhung der Staatsausgaben durch eine Ausweitung von Pensionsleistungen. Der Klimaschutz muss irgendwann wirklich ernsthaft angegangen werden, weil sonst u.a. unerträglich hohe Strafzahlungen drohen. Sprich: Will Kurz noch lange in der Politik bleibt, ist das ein Grund mehr für ihn, zu einer Kursänderung zu schreiten. So schmerzlich und herausfordernd das auch immer sein mag für ihn.
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