ANALYSE. Der Altkanzler stellt Dinge dar, wie es ihm gefällt. Und der Seniorenbund hat nichts mit der ÖVP zu tun.
Sebastian Kurz als Opfer. „In meinem Fall gab es über zehntausend Medienartikel darüber, dass ich im Parlament gelogen hätte – vier Jahre später dann ein paar Artikel, dass alles ein Schwachsinn war“, spielt er in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ auf den Freispruch vom Vorwurf der Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss an.
Ibiza steht für die Affäre mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache: Was heißt Affäre? Laut Kurz ist das medial aufgeblasen worden. Dabei sei es lediglich um „unpassende Formulierungen“ gegangen, wie er in einer frei zugänglichen Zusammenfassung des NZZ-Interviews auf krone.at zitiert wird.
Zur Erinnerung: Es war Sebastian Kurz, der die Ibiza-Affäre bzw. die Veröffentlichung des bekannten Videos zum Anlass genommen hat, die türkis-blaue Koalition im Mai 2019 aufzukündigen. „Genug ist genug“, sagte er damals wörtlich: „Was über mich in diesem Video gesagt wurde, Beschimpfungen und Unterstellungen, ist dabei noch das geringste Problem. Wirklich schwerwiegend sind die Ideen des Machtmissbrauchs und der Umgang mit dem Steuergeld und der Umgang mit der Presse.“
Heute sieht Kurz das offenbar nicht mehr so kritisch. Im NZZ-Interview behauptet er, in Österreich, ja weltweit werde die Justiz als politische Waffe missbraucht. Donald Trump und Marine Le Pen würden trotz oder wegen ihres großen Erfolges bei der Wählerschaft juristisch bekämpft. Aber: „Entscheiden sollten schon noch immer die Wähler an der Urne.“
Dass Trump jegliche Rechtsstaatlichkeit bekämpft, die ihm missfällt, verschweigt der ehemalige ÖVP-Obmann genauso wie die Tatsache, dass es im Zusammenhang mit Le Pen um konsequente Korruptionsbekämpfung geht: In Frankreich ist illegale Politik- wie Parteienfinanzierung kein Kavaliersdelikt. Das hat auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy schon eine Verurteilung beschert; in seinem Fall zu einer Haftstrafe.
In Österreich ist alles ein bisschen anders, ist illegale Parteienfinanzierung kein Straftatbestand. Hat Strache auf Ibiza erklärt, wie Parteien über Vereine finanziert werden könnten. Wurde vor 50 Jahren ein Parteiengesetz beschlossen, das staatliche Förderungen ebenso regelt wie Rechenschaftspflichten der Parteien. Wie hier berichtet gründeten einzelne Parteiorganisationen daher Vereine. Der ÖVP-Seniorenbund zum Beispiel den Verein Seniorenbund.
Laut „Standard“ hat das Bundesverwaltungsgericht gerade festgestellt, dass der Verein Seniorenbund kein Teil der ÖVP sei. Das hat weitreichende Folgen. Über den Verein sind Coronahilfen beantragt und diesem schließlich über einen staatlichen Fonds in Höhe von insgesamt 2,5 Millionen Euro auch gewährt worden. Der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat fand später jedoch, dass er Teil der Partei ist, weil er im Bund sowie in fast allen Ländern dieselbe Anschrift und Telefonnummer wie die ÖVP-Teilorganisation Seniorenbund hatte und verhängte eine Strafe von 15.000 Euro, die das Verwaltungsgericht nun eben aufhob. Woraufhin der Verein die 2,5 Millionen Euro, die er zwischenzeitlich zurückbezahlt hat, jetzt erst recht wieder haben will.
In der Sache ist das alles so österreichisch: Das Bundesverwaltungsgericht meint laut „Standard“, dass der Verein nicht zur ÖVP gehört, weil er nicht explizit in der Parteisatzung genannt ist. Daher könne er „nicht als Gliederung der Partei angesehen werden“. Das zu tun, wäre kritisch, so das Gericht sinngemäß; dann „wäre es im Extremfall ins Belieben Dritter gestellt, Teil einer politischen Partei zu werden; die politische Partei verlöre die Souveränität, ihre organisatorischen Grenzen und Gliederungen selbst zu bestimmen“.
Das ist eine Verdehung: Hier geht es nicht darum, dass die ÖVP mit ihren Senioren nichts zu tun haben möchte, dass diese quasi gegen ihren Willen versuchen, über einen Verein unter ihr Dach zu kommen. Es ist umgekehrt: Aus ihr heraus ist die Vereinskonstruktion geschaffen worden. Und zwar gezielt, aus den erwähnten Gründen.