ANALYSE. Die Regierungsbildung nach der Wahl wird in keinem Fall einfach werden. Und unter Umständen wird auch alles ohne den Bundespräsidenten ablaufen.
Um Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist es ruhig geworden. Die Festspiele in Bregenz und Salzburg sowie die Politischen Gespräche in Alpbach hat er eröffnet. Ansonsten ist kaum etwas von ihm zu hören. Und das ist nachvollziehbar: Im Hinblick auf die Regierungsbildung nach dem 15. Oktober sind Äußerungen schon einmal grundsätzlich sehr heikel. Vor allem aber muss er sich auf Eventualitäten vorbereiten, wie noch kein Staatsoberhaupt vor ihm.
Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag hin auch die übrigen Mitglieder der Bundesregierung. So Artikel 70 (1) der Bundesverfassung. Was sich nach sehr viel Macht anhört, kann in der Praxis recht bedeutungslos sein. Letzten Endes entscheidend ist nämlich eher, dass der Kanzler ein Kabinett zusammenstellt, dass vom Nationalrat nicht gestürzt wird, dort also über eine zumindest wohlgesonnene Mehrheit verfügt.
Wie die wahren Machtverhältnisse ausschauen können, hat man im Jahr 2000 gesehen: Wolfgang Schüssel bildete als Chef der drittstärksten Partei eine Koalition mit der zweitstärksten Partei, den Freiheitlichen – und der damalige Bundespräsident Thomas Klestil hätte zwar gerne etwas dagegen unternommen, konnte aber nicht; er musste das akzeptieren.
Van der Bellen muss sich nun darauf einstellen, dass die Sache nach der kommenden Nationalratswahl noch viel schwieriger wird für ihn. Das beste, was ihm passieren könnte, wäre noch, SPÖ und ÖVP würden einfach weitermachen wie bisher; wenn auch in umgekehrter Reihenfolge (Schwarz-Rot statt Rot-Schwarz). Doch davon sollte man nicht zu sehr ausgehen.
Kurz behält sich anstelle einer Koalition etwas „völlig Neues“ vor: Eine bisher unbekannte Form der Minderheitsregierung.
Womit automatisch die Freiheitlichen ins Spiel kommen. Zur Frage, ob er eine FPÖ-geführte Regierung angeloben würde, sagte Van der Bellen einst: „Ich täte es nicht.“ Später relativierte er es zwar. Was für den Fall der Fälle bleibt, ist für ihn aber ein gewisser Erklärungsbedarf: Selbst wenn die Freiheitlichen bloß Nummer 2 in einer Regierung werden würden, müsste er schlüssig argumentieren, warum das jetzt doch möglich sein soll. Dazu nötig wäre also eine Art schriftlicher oder auch nur ausgesprochener Kriterienkatalog. Doch das sollte er noch hinkriegen können.
Schwieriger werden würde etwas ganz anderes: Bundespräsidenten haben in der Vergangenheit meist sehr viel Wert darauf gelegt, dass es eine stabile Regierung mit einer tragfähigen Mehrheit auf parlamentarischer Ebene gibt. Was genau genommen schon gegen eine Minderheitsregierung sprach. Wobei Van der Bellen nun nicht nur klären muss, wie er es damit halten würde, sondern noch weiter gehen muss: ÖVP-Chef Sebastian Kurz lässt offen, ob er bei Gelegenheit eine klassische Koalition oder „etwas Neues ausprobieren“ würde; mit wechselnden Mehrheiten Projekt um Projekt abwickeln nämlich.
… wobei dem Bundespräsidenten von vornherein gar keine aktive Rolle mehr bleiben würden.
Das ist mehr als eine Minderheitsregierung, wie wir sie kennen: Bei jener, die Bruno Kreisky (SPÖ) 1970 bildete, gab es die Duldung „nur“ der Freiheitlichen. Und zwar, weil Kreisky ihnen ein minderheitenfreundliches Wahlrecht zugesagt hatte. Kurz aber würde wohl (mehr oder weniger) unabhängige Experten in sein Kabinett holen (z.B. Josef Moser) und schon damit darauf setzen, von Fall zu Fall von mehr als einer Partei unterstützt zu werden. Wobei dem Bundespräsidenten von vornherein gar keine Rolle mehr bleiben würden, außer die eines ziemlich ohnmächtigen Beobachters.
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