ANALYSE. Schwarz-Blau I hat gezeigt: Inferiore Freiheitliche müssen einem ÖVP-Kanzler nicht schaden. Im Gegenteil.
Die Fans der türkisen Bewegung müssen den Kopf nicht hängen lassen, die Gegner sollten sich nicht zu früh freuen: Freiheitliche mögen keine Gelegenheit auslassen, Schaden anzurichten. Sei es europa- und außenpolitisch durch den Knicks vor Russlands Präsident Wladimir Putin oder nun auch innerstaatlich (und darüber hinaus) im Zuge der BVT-Affäre; die Liste ließe sich fortsetzen. An der ÖVP kann das nicht spurlos vorübergehen. Im Gegenteil, ist sie doch gemeinsam mit der FPÖ in einem Koalitionsboot. Und was davon ausgeht, wird zunehmend abstoßend für Pro-Europäer und all jene, die im Übrigen auch Wert auf eine vernünftige Debattenkultur und rechtsstaatliche Verhältnisse legen.
Die ÖVP muss so etwas jedoch nicht mit in den Abgrund reißen. Wir erinnern uns: Schwarz-Blau I war von 2000 an geprägt von ganz anderem Chaos. Schon 2002 war es de facto gescheitert, Stichwort „Knittelfeld“, Stichwort Neuwahlen. Das Ergebnis ist jedoch bekannt: Während die FPÖ von 27 auf zehn Prozent abstürzte, legte die ÖVP historische 15 Prozentpunkte auf mehr als 42 Prozent zu.
Drei Faktoren waren damals mitentscheidend, die man auch heute auf der Rechnung haben sollte:
- Die SPÖ war nach zweieinhalbjähriger Oppositionszeit noch nicht auf der Höhe.
- Und das hatte auch damit zu tun, das vielen noch immer alles andere lieber war als ihre Rückkehr in die Regierung. Die Große Koalition (Schwarz-Rot bzw. Rot-Schwarz) war noch immer unten durch, wenn man so will.
- Kanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel trug den Beinamen „Schweigekanzler“. Es konnte drunter und drüber gehen, er hatte so gut wie nichts zu sagen. Was angesichts der Turbulenzen und seiner Verantwortung als Regierungschef durchaus fragwürdig war, aber auch dazu führte, dass er vielen als wohltuender, um nicht zu sagen souveräner Ruhepol galt – und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen des freiheitlichen Treibens; das schärfte sein Profil.
Auch Sebastian Kurz meidet die Tiefen der Innenpolitik, bemüht sich ähnlich wie Schüssel, über den Dingen stehend rüberzukommen. Schafft es, mit der BVT-Affäre exakt gar nicht in Verbindung gebracht zu werden (nicht einmal als derjenige, der die Gesamtverantwortung für die Bundesregierung trägt). Hält zwischendurch (in Alpbach) eine auffallend pro-europäische Rede. Gilt vielen weiterhin als Hoffnungsträger. Siehe Umfragewerte. Würde heute gewählt werden, würde er eher zulegen. Trotz allem. Oder vielleicht auch gerade wegen alledem: Wahlentscheidend ist ganz offensichtlich noch immer, dass eine Mehrheit die SPÖ nicht in der Regierung haben möchte; und dass eine wachsende Mehrheit lieber den sich staatstragend gebenden Sebastian Kurz als die zunehmend wieder polternde FPÖ-Riege um Heinz-Christian Strache an der Spitze sieht. So gesehen könnten sie ihm sogar einen Dienst erweisen.
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