Türkisen-Problem

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ANALYSE. Die FPÖ umwirbt jetzt auch die Wirtschaft. Kalkül: Hier ist viel zu holen, nachdem die ÖVP enttäuscht hat und es nichts mehr gibt, was an den Kurz-Hype heranreicht.

Fünf Tage vor der Nationalratswahl hält die „Tiroler Adlerrunde“ eine hochpolitische Veranstaltung ab. Zur Erinnerung: Das ist eine Gruppe von Unternehmern, die einst große Hoffnungen in Sebastian Kurz gesetzt haben. Ihre Mitglieder habe seiner „Bewegung“ daher über eine Million Euro gespendet. Immerhin ist er dann ja auch zwei Mal Kanzler gewesen. Doch zurück zu dieser Veranstaltung am 24. September in Innsbruck. Türkis ist da wenig bis nichts.

Das Thema ist eher unangenehm für die Regierenden: „Der Karren brennt: Ignoriert Österreichs Politik die Warnsignale des Abschwungs?“ Bemerkenswerter: Hier bekommt kein Kurz-Nachfolger eine Möglichkeit, allein auf der Bühne zu stehen, um vielversprechende Ankündigungen zu tätigen im Hinblick auf die Nationalratswahl am 29. September. Für Impulsstatements geplant sind vielmehr: Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler (ÖVP), AK-Ökonom Markus Marterbauer und Neos-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker.

Das Ganze ist bezeichnend: Sebastian Kurz hat es noch einmal geschafft, für die ÖVP das Vertrauen weiter Teile der Unternehmerschaft zu erobern. Er hat geblendet und etwa Fantasieangaben zur Senkung der Steuer- und Abgabenquote gemacht. Aber das ist egal gewesen. Vielen hat offenbar gereicht, dass da einer sagt: „Ich pack’s an.“

Nachfolger Karl Nehammer bemüht sich nicht einmal groß, das fortzusetzen. Kein Wunder: Abgesehen davon, dass kaum noch jemanden interessiert, dass auch er die Steuer- und Abgabenquote senken möchte, ist vollkommen belanglos geworden, wie er das bewerkstelligen würde.

Jetzt stehen ganz andere Dinge im Vordergrund: Erstens, eine Masse, ob Bürger oder Unternehmer, erwartet sich nichts mehr von Politik. Zweitens: Die Befürchtung, dass sich die allgemeinen Verhältnisse in den kommenden Jahren verschlechtern werden, ist beträchtlich. Drittens: Skandale und Affären lassen es auf eine Art Denkzettelwahl hinauslaufen.

71 Prozent der Österreicher misstrauen Kickl. Dass er in der Kanzler- und seine Partei in der Sonntagsfrage trotzdem vorne liegen, ist einzig darauf zurückzuführen, dass er als eine Absage an die Politik verstanden wird. Durch ihn kann man die da oben treten, demütigen und oder bestrafen.

Durch ihn kann man auch die ÖVP dafür bestrafen, dass sie mit Sebastian Kurz dem Vertrauen hunderttausender Wählerinnen und Wähler nicht gerecht geworden ist, um es vorsichtig zu formulieren. Nicht wenige werden sich betrogen fühlen.

Bisher holte Kickl „nur“ alte FPÖ-Wähler zurück, die 2017 und mehr noch 2019 türkis wählten. Getan hat er das mit dem Migrationsthema. Jetzt geht er weiter und spricht auch Wirtschaftstreibende an. Zum Beispiel mit der Absage an neue Steuern und der Ansage, die KÖSt zu senken. Nehammer hat dem wenig entgegenzusetzen. Wer soll der ÖVP noch glauben?

Natürlich: Wer soll der FPÖ glauben, wer soll ihr ihre Fantasieangaben zur Gegenfinanzierung von Entlastungen abkaufen? Das kann niemand, der eins und eins zusammenzählen kann, es ist in ihrem Fall aber nebensächlich: Sie mobilisiert mit ihren Themensetzungen, erinnert Unternehmer etwa daran, dass Türkise seit einer gefühlten Ewigkeit eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote versprechen und nie zusammenbringen; sie bietet sich dafür an, nicht noch einmal hoffen zu müssen, dass Türkise diesmal Wort halten, sondern ihnen zu zeigen, dass sie alles Vertrauen verspielt haben.

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