ANALYSE. Auch bei den Koalitionsverhandlungen setzt sich Kurz von seiner Partei ab. Das ist eine Chance, aber auch ein Risiko für ihn.
Geht’s gut, gehört man selbstverständlich dazu, geht’s schief, hat man natürlich nichts damit zu tun. So ungefähr ist das Verhältnis klassischer ÖVP-Politiker zum Chef der „Neuen Volkspartei“, Sebastian Kurz. Wobei er es ihnen erleichtert, will er doch auch nicht unbedingt mit ihnen in Verbindung gebracht werden – was im Übrigen zu seinem Wahlerfolg beigetragen hat.
Man sollte sich bei alledem nicht verrückt machen lassen. Die ÖVP ist die ÖVP, Neue Volkspartei hin, Neue Volkspartei eher. Und Sebastian Kurz ist der Bundesparteiobmann. Entscheidend ist jedoch die Inszenierung: Demnach handelt es sich um zwei verschiedene Organisationen, die eine ist schwarz, die andere türkis und Kurz ist von seinem Selbstverständnis her ausschließlich Kopf dieser Bewegung.
Bei den Koalitionsverhandlungen wird das nun fortgesetzt. Siehe Zusammensetzung der türkisen Seite: Neben Kurz sind dessen Vertrauten Gernot Blümel, Elisabeth Köstinger, Stefan Steiner und Bettina Glatz-Kremsner auf dieser zu finden. Allesamt wohl alles andere als das, was man unter Berufspolitikern versteht, geschweige denn namhaften Parteifunktionären; kein Landeshauptmann, kein Bündechef.
Das ist eine Chance für Kurz, aber auch ein Risiko, sind Spannungen mit den Vertretern der alten ÖVP doch nicht nur vorprogrammiert, sondern bereits sicherbar. Zumal es ihnen die Umständen sogar erleichtern, in eine Art parteiinterne Opposition zu gehen. Drei Beispiele der vergangenen Tage:
- Der Tiroler Arbeiterkammer-Präsident Erwin Zangerl (ÖVP) warnt davor, die Kammern zu schwächen oder gar die Pflichtmitgliedschaft abzuschaffen: Wer das tue, gefährde den „sozialen Frieden“.
- Die Bauernbündler ignorieren ganz einfach, dass die Neue Volkspartei keine Bündeorganisation mehr sein möchte. Sie bleiben bei den alten Verhältnissen: Obmann Georg Strasser erinnert daran, dass seine Organisation nach dieser Wahl nicht mehr 13, sondern 16 Abgeordnete der ÖVP-Fraktion stellen werde.
- Der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, Markus Wallner (ÖVP), konfrontiert die noch nicht existierende Regierung gleich mit finanziellen Wünschen. Diese mag eine Schuldenbremse einführen wollen. Doch das ist nicht sein Problem. Für die Abschaffung des Pflegeregresses müsse der Bund den Ländern mehr als die angekündigten 100 Millionen Euro überwiesen werden, sagt er.
All das kann Sebastian Kurz zunächst nicht nur egal sein, es kann ihm sogar recht sein: Es verstärkt den Kontrast zwischen ihm und der alten ÖVP; zwischen türkis und schwarz. Gut gehen kann das jedoch nur, so lange er letzten Endes immer doch wieder die Unterstützung letzterer hat; auf sie ist nämlich auch er angewiesen.
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